Von der Platform Economy zum Procurement-as-a-Service
„Digitalisierung“ gilt als Megatrend, der alle Branchen und Geschäftsprozesse verändert und klassische Geschäftsmodelle bedroht. Doch wie genau dieser Trend wirkt und genutzt werden kann, ist nicht immer offensichtlich. Plattformen und die sogenannte „Platform Economy“ sind ein Beispiel für die Auswirkungen und Funktionsweisen des Digitalisierungstrends.
Wir leben in einer immer weiter reichenden „Platform Economy“. Bekannte Beispiele dafür sind Uber, AirBnB, Lieferando, aber auch Spotify, Netflix, Amazon Marketplace, AliExpress und viele andere. Ihnen allen ist gemein, dass die Betreiber faktisch einen Marktplatz geschaffen haben, auf dem sich Anbieter und Nachfrager global und in Echtzeit treffen. Uber vermittelt Fahrdienstleistungen, Airbnb Unterkünfte, Lieferando Speisen und Getränke. Spotify bringt Musiker und Musikliebhaber zusammen, Netflix Film- und Serienangebote und Zuschauer, Amazon Marketplace und AliExpress kleinere Anbieter und Hersteller mit potenziellen Kunden.
Plattform Economy = technologische Marktplätze mit Mehrwert
Dem zugrunde liegt die technologische Plattform, die die Vermittlung in Echtzeit überhaupt erst ermöglicht – sei es über Websites, Apps oder auch automatisiert über standardisierte Schnittstellen. Verkürzt könnte man sagen: Produkte im klassischen Sinne zeichnen sich durch Features aus, Plattformen jedoch über ihre Community und ihre Reichweite. Alle oben genannten Plattformbetreiber haben auch Wettbewerber, aber erfolgreich ist, wer die größte Community aufbaut – und zwar symmetrisch sowohl auf Anbieter- als auch Nachfragerseite.
Der Vorteil der Plattformnutzung ergibt sich daher aus der Reichweite (als Anbieter oder Nachfrager nimmt mir der Plattformbetreiber die individuelle Kontaktaufnahme mit der Gegenseite ab), der Größe des Angebots und der Echtzeitinteraktion. Darüber hinaus ergeben sich oft Kostenvorteile, da es z.B. günstiger sein kann, fallweise Uber zu nutzen, als ein eigenes Fahrzeug mit allen Nebenkosten zu unterhalten, oder Spotify oder Netflix, statt die jeweiligen Unterhaltungsmedien selbst zu erwerben.
Doch solche Plattform-Angebote beschränken sich nicht auf Endverbraucher: Immer mehr Plattformangebote richten sich explizit an Unternehmen und vermitteln Transportdienstleistungen, IT-Services, Human-Resources-Leistungen und vieles mehr. Das neue Geschäftsmodell besteht im Rahmen der Digitalisierung nicht nur darin, die eigenen Prozesse zu verschlanken und in IT-Systeme zu pressen, sondern vor allem auch darin, solche Plattformen zu nutzen, um wirtschaftliche Vorteile zu erzielen.
So nutzen heute schon viele Unternehmen Cloud-Computing-Plattformen wie Amazon AWS oder Microsoft Azure, um weniger eigene Hardware anschaffen und betreiben zu müssen. Die benötigten Kapazitäten werden bedarfsgerecht angemietet und können bei Bedarf innerhalb von Sekunden oder Minuten erweitert oder reduziert werden. Man zahlt im Idealfall nur für die Kapazitäten und Dienste, die man wirklich aktuell benötigt. Im Vergleich dazu muss eigene Hardware immer Kapazitäten für den Spitzenlastbetrieb bereitstellen und man hat daher zumeist im Regelbetrieb (teure) Überkapazitäten.
Plattformen im Procurement
Aber nicht nur im IT-Bereich gewinnen Plattform-Konzepte immer mehr an Bedeutung. Auch in anderen Bereichen wie beispielsweise dem Procurement werden die Angebote umfangreicher. Schon heute können Transportkapazitäten bedarfsorientiert über solche Plattformen angeboten und nachgefragt werden. Und digitale Marktplätze und elektronische Kataloge sind längst ein alter Hut. Aber Procurement-as-a-Service will mehr: Hier geht es darum, viele Bereiche der Beschaffung vom Supplier-&-Contract-Management samt Lieferantenbewertung und administrativen Tätigkeiten zu vereinfachen. Und auch von der Größe der „Community“ (also: Reichweite) und dem Umfang des Angebotes sowie der bedarfsorientierten Echtzeitfähigkeit will man profitieren.
Auch andere Bereiche des Einkaufs können über Procurement-as-a-Service optimiert werden, ohne die Funktion und den Stellenwert des Einkaufs im Unternehmen zu untergraben. Einheitliche Plattformen und Schnittstellen erlauben beispielsweise eine automatisierte Analyse der Kosten und eine verbesserte Kategorienplanung. Aber auch die Überwachung und Verwaltung von Service-Level-Agreements, die Dokumentation der Einhaltung rechtlich notwendiger Vorgaben, das Einholen von Angeboten oder auch die Marktanalyse werden vereinfacht.
Der Einkauf wird dabei von Routinetätigkeiten entlastet, die Plattform übernimmt durch Standardisierung die entsprechenden Vorarbeiten. Damit kann sich der Einkauf künftig verstärkt um strategische Einkaufsentscheidungen kümmern.
Allerdings bedeutet die Nutzung von Plattform-Services immer auch ein gewisses Abgeben von Kontrolle und Verantwortung. Es ist also wichtig, dem Plattformanbieter zu vertrauen und möglichst immer eine Alternative als Plan B zu haben. Häufig bedeutet das, optional einen anderen Plattformanbieter zu nutzen – manchmal aber auch, auf Plattformdienste zu verzichten. Immer ist jedoch für den Fall des Ausstiegs vorab zu analysieren, ob und wie die eigenen Daten von der Plattform übernommen und weiterverwendet werden können.
Fazit
Die neuen digitalen Geschäftsmodelle bedeuten nicht nur, sich auf Plattformangebote einzulassen, um wirtschaftliche Vorteile zu erzielen, sondern auch, Sorge dafür zu tragen, dass die Plattformnutzung kein Flaschenhals wird, der das weitere Handeln stark einschränken würde, falls die Plattform irgendwann nicht mehr zur Verfügung steht. Das Bewusstsein für dieses Risikomanagement ist noch wenig ausgeprägt, viele kleinere Unternehmen verzichten daher auf die Nutzung der angebotenen Plattformen, sind damit aber nur bedingt zukunftsfähig.