Flächendeckende Echtzeit-Lokalisierung von Logistikobjekten
Gastbeitrag von Prof. Dr.-Ing. Stefan Brunthaler
Ein Ortungssystem für die Lagerlogistik, das flächendeckend und in Echtzeit arbeitet: Einer Gruppe von deutschen Wissenschaftlern und Industriepartnern ist es gelungen, im Rahmen eines Förderprojektes ein solches System zur Indoor-Ortung zu entwickeln. Die Lösung ist hybrid- und erweiterungsfähig und lässt sich in Warehouse-Management-Systeme einbinden.
Selbstfahrende Roboter, autonome Lieferdrohnen, Mitarbeiter mit Datenbrillen – was nach Science Fiction klingt, sind Technologien, die gerade die Logistikbranche umwälzen. Konzepte wie pick by voice oder kleine, wendige Transportroboter sind in den Lagern großer Logistikunternehmen bereits im Einsatz – in erster Linie dort, wo es auf schnelle und korrekte Kommissionierung der ständig wachsenden Bestellungen über Online-Shops ankommt.
Doch nicht für jedes Unternehmen sind der Einsatz solcher Technologien oder eine sofortige und komplette Automatisierung des gesamten Lagers notwendig und wirtschaftlich. Die Frage nach Zeiteinsparung und effizienteren Abläufen stellt sich dennoch, denn den Kostendruck spüren alle. Statt wie früher Papierlisten abzuhaken, werden in den Lagern daher meist schon Barcode-Scanner eingesetzt.
Doch während der täglichen Ein- und Auslagervorgänge summieren sich auch scheinbare Kleinigkeiten. Wie die Berechnung von Musterabläufen ergab, müssen für einen Scanvorgang bis zu drei Sekunden Zeit einkalkuliert werden. Bei 100 Paletten sind das bereits 300 Sekunden, also fünf Minuten. In der rauen Lagerumgebung erschweren Verschmutzungen auf den Barcode-Schildern oft zusätzlich das Einscannen. Werden einzelne Scanvorgänge vergessen, verzögern sich die Abläufe weiter. In der Logistik zählt aber jede Minute.
Schneller und sicherer als die Einzel-Scannung wäre hier ein System zur automatischen Ortung der Gabelstapler und der Laufwege der Mitarbeiter, also eine indirekte Ortung der Waren anhand der Transportmittel und eine Verfolgung in Echtzeit. Entsprechende Systeme sind aber nicht standardmäßig am Markt verfügbar und nach dem Plug-&-Play-Prinzip nutzbar. Vielmehr stellt ihre Entwicklung und Anpassung in mehrerlei Hinsicht eine Herausforderung dar.
Für eine genaue Lagerortung müssen mehrere Technologien kombiniert werden
Um auch kleinere Teile und Warenpakete sicher zuordnen zu können, sind Ortungsgenauigkeiten von weniger als 50 Zentimeter erforderlich. Dafür ist das in der Transportlogistik gängige GPS-Verfahren mit Toleranzen von bis zu mehreren Metern im Standardbetrieb zu ungenau. Vor allem aber sind die Satellitensignale durch die Hallen kaum zu empfangen.
GPS-Systeme sind für die Anwendung im offenen Gelände konzipiert und benötigen für eine sichere Ortung einen quasi-optischen Kontakt zu mindestens vier Satelliten.(1) In Tälern oder stark bewaldeten Gebieten sind diese Sichtlinien unterbrochen; hier werden, wo nötig, zur genaueren Lokalisierung Pseudo-Satelliten, kurz: Pseudoliten eingesetzt.(2) Dies sind am Boden installierte, unbewegte Signalsender, die einen Navigationssatelliten simulieren und in begrenzten Bereichen eine äußerst genaue Navigation erlauben.
Dieser Ansatz ist auch auf die Intralogistik übertragbar. Im urbanen Raum wird GPS mit Assistenzsystemen kombiniert, die auf Informationen aus den Mobilfunknetzen zugreifen.
Die Nutzung der RFID-Technologie (Radio Frequency Identification) mit Lesegeräten und Transpondern ist in der Logistikbranche bereits etabliert. Fest installierte Lesegeräte an Ein- und Ausgangstoren großer Lagerhallen können mit Tags (Transpondern) ausgestattete Paletten identifizieren. Daneben sind mobile RFID-Handlesegeräte gebräuchlich, mit deren Hilfe die Mitarbeiter im Lager die Tags auf den Waren auslesen können.
Die Ortung dieser mobilen Lesegeräte selbst innerhalb der Halle, um die Staplerbewegung oder die Laufwege in Echtzeit nachzuverfolgen, ist nicht gegeben. Das wäre etwa mit Hilfe von WLAN-Positionierung möglich. Oder – ebenfalls mit Hilfe der RFID-Technologie, wenn Transponder fest in der Infrastruktur der Halle verankert, also etwa im Boden eingebaut werden, um so das mobile Lesegerät und dessen Bewegungen in Echtzeit zur erfassen. Das ist aber mit hohem Aufwand verbunden.
Weitere Herausforderungen: Mehrwegempfang und Einbindung in die Lagerprozesse
Ein weiteres Problem ist der Multipath oder Mehrwegempfang: Elektromagnetische Wellen werden durch Objekte reflektiert oder abgelenkt und treffen dann auf verschiedenen Wegen beim Empfänger ein. Gerade in Lagerhallen, die ja typischerweise gefüllt sind mit Regalen, Paletten, Warencontainern oder Staplern, ist das die Regel. Unkorrigiert würden falsche oder mehrere Lagerorte avisiert und sogenannte Phantomobjekte angezeigt.
Und selbst wenn es gelingt, mittels einer Kombination geeigneter Technologien einzelne Transportwege in Echtzeit verfolgbar zu machen, so helfen diese Daten für sich allein genommen noch wenig. Erst wenn die Ortungsdaten auch in die Prozessführung und Prozesssteuerung des Lagers einfließen, lassen sich die Abläufe in der Intralogistik effizienter, einfacher und auch sicherer gestalten. Die mögliche Einbindung in bestehende Warehouse-Management-Systeme (WMS) zählt also ebenfalls zu den Anforderungen an ein Lager-Ortungssystem.
Dazu kommt, dass die Gegebenheiten in der jeder Halle individuell sind. Die Einrichtung und Nutzung der Lagerhallen und deren Infrastruktur unterscheiden sich ganz erheblich nach Größe, dem Lagerprinzip, Umschlagszeiten, Transportmitteln und Auslastung. Je nach Branche und Unternehmen finden sich dann Hochregallager mit Warenpaketen, Paletten-Stapel oder auch offene Regale mit Kleinteilen.
Zusammenfassend ergeben sich daraus als grundlegende Anforderungen an ein zu entwickelndes Lager-Ortungssystem:
- Mehrere, sich gegenseitig ergänzende Technologien müssen sinnvoll kombiniert werden, um sowohl die nötige Reichweite als auch Genauigkeit sicherzustellen.
- Mehrwegempfang und Dämpfung von Signalen sind zu berücksichtigen.
- Die Ortungsdaten müssen in die Lager-Prozessführung einzubinden sein.
- Das System sollte sich sich flexibel an die Gegebenheiten des jeweiligen Lagers anpassen lassen.
- Aufwand und Anschaffungskosten sollten sich im Rahmen halten.
Flächendeckende Ortung von Logistikobjekten in Echtzeit
Ein solches System zu erarbeiten, war die Aufgabe beim Projekt „InLoc4Log – Echtzeit-Lokalisierung und Navigation in der modernen Lagerlogistik“, das vom deutschen Bundesministerium für Wirtschaft und Energie gefördert wurde. Ziel war die Entwicklung einer wirtschaftlichen, zuverlässigen und genauen Lösung, die auf der kontinuierlichen Ortung von Transportmitteln basiert und eine Bestimmung und Nachverfolgung der Logistikobjekte in Echtzeit ermöglicht.
Einem Team aus Wissenschaftlern der TU Wildau, HU Berlin und Industriepartnern ist dies mit der Entwicklung eines innovativen Indoor-Ortungsverfahrens gelungen. Die hybride Lösung nutzt Pseudolites, die durch weitere Funk- und Sensordaten ergänzt werden. Durch die Kombination mehrerer Technologien konnten sowohl die Probleme des Mehrwegempfangs gelöst als auch Installationsaufwand und Kosten so gering wie möglich gehalten werden. Die Ortungsgenauigkeit liegt bei 40 Zentimeter.
Grundsätzlich können auch verschiedene weitere Sensoren eingebunden werden; das System lässt sich somit flexibel an die Gegebenheiten vor Ort anpassen.
Besonderes Augenmerk lag auf der Einbindung in bestehende Prozessführungs- und WMS-Lösungen. Dazu wurden entsprechende Schnittstellen angelegt, um die Anbindung an verschiedene Standards und Systeme, wie beispielsweise an die LVS/WMS-Lösung „storagement“, zu ermöglichen.
Letztlich ist somit nicht nur eine schnelle und sichere Ortung von Logistikobjekten gegeben. Durch eine integrierte Visualisierung hat der Verantwortliche im Leitstand auch jederzeit den Überblick über alle Bewegungen. Somit können auch Ballungssituationen vermieden sowie Prozesse verbessert und optimiert werden. Die flächendeckende Echtzeit-Lokalisierung ermöglicht also nahtlose und effiziente Prozesse in der Lagerlogistik. In Zukunft soll das System auch als Cloud-Lösung angeboten werden.
Weitere Informationen: www.storagement.de
Quellen:
(1) T. Strang, F. Schubert, S. Thölert, R. Oberweis et al.: Lokalisierungsverfahren. DLR, 2008, S. 14 (PDF)
(2) ebenda, S. 25
Autor: Prof. Dr.-Ing. Stefan Brunthaler, Geschäftsführer, Dr. Brunthaler Industrielle Informationstechnik GmbH
(Bild von Jens P. Raak auf Pixabay)