Interaktives (Game-)Streaming
Geht es nach den Vorstellungen der Industrie, dann soll interaktives Streaming die persönliche Computernutzung revolutionieren. Von Videos und Musik kennt man es: Skippen, Vor- und Zurück“spulen“, mehr geht beim Abspielen via Streaming nicht. Wie aber beispielsweise auf der Gamescom 2019 in Köln gezeigt, steht interaktives Streaming in den Startlöchern und wird die Gaming-Industrie, aber auch das Hardware-Business weiter verändern.
Für interaktives Streaming laufen die Spiele auf Computern in den Rechenzentren von Google, Microsoft und Co, die Steuerung der Spielfigur erfolgt über einen Controller mit Online-Anbindung, die Darstellung des Spielgeschehens wird in Echtzeit über das Internet auf das Endgerät des Spielers gestreamt. Das kann ein PC sein, aber künftig auch ein Smartphone, Tablet, Smart-TV oder auch ein normales TV-Gerät, an das ein spezieller Streaming-Stick angeschlossen wird.
Noch sind die Latenzen ein Problem, also die Verzögerungen durch die Siignallaufzeiten bei langsamen Onlineverbindungen. Aber das wirkt sich nur bei schnellen Spielen aus, viele Gelegenheitsspieler bemerken das kaum. Und mit 5G soll, so die Hoffnung von Brancheninsidern, auch dieses Problem noch weiter an Bedeutung verlieren.
Das Ziel: Game-Streaming überall, zu jeder Zeit, auf quasi jedem Endgerät. Und die Spieler zahlen nur für die Nutzung, sie müssen nicht mehr selbst in teure Hardware investieren, die dann die meiste Zeit eh nur in einer Ecke verstaubt. Auch soll das Game-Streaming nur der Anfang sein: Künftig könnten Sie zuhause komplett auf einen PC verzichten und Ihren Windows-Desktop einfach auf Ihren Fernseher streamen. Alles, was Sie dazu benötigen, ist eine Maus, eine Tastatur, ein Streaming-Stick – und natürlich ein Abo bei dem jeweiligen Anbieter.
Rettung für eine darbende Branche
Hinter vorgehaltener Hand wird darüber gesprochen, warum die Branche auf interaktives Streaming hofft: Die Umsätze mit Hardware brechen weg, gerade bei Gelegenheitsnutzern. Es lohnt sich kaum, neue Geräte anzuschaffen. Statt einen neuen Computer oder ein neues Notebook kauft man sich eher ein Smartphone oder ein Tablet.
Überlegen Sie selbst: Wann haben Sie Ihren letzten PC, Ihr letztes Notebook oder Ihre letzte Spielekonsole gekauft? Und was war der Grund dafür? Die meisten Neuanschaffungen und Upgrades erfolgen, weil etwas Neueres, Schnelleres her muss, nicht weil die alten Geräte defekt sind. Doch das lohnt sich für die gelegentliche Nutzung kaum.
Wenn Spiele zukünftig wie Musik- und Videoinhalte gestreamt werden und die Server in Googles Rechenzentren das Spielgeschehen individuell berechnen und dann quasi in Echtzeit das jeweilige Bild dazu auf beliebige Endgeräte übertragen, ist eine potente Spielekonsole oder ein hochgerüsteter PC mit teurer Grafikkarte nicht mehr nötig.
Und wie so oft hoffen viele Anbieter, sich ein Stück des Kuchens sichern zu können. Neben Google haben bereits einige Mobilfunkanbieter Initiativen und Angebote angekündigt in der Hoffnung, interaktives Streaming könnte zur Killerapplikation für den neuen 5G-Mobilfunkstandard werden. Und auch Facebook wird nachgesagt, an entsprechenden Angeboten zu stricken.
Parallel dazu hat just Microsoft ein Angebot vorgestellt, bei dem (vorerst für Unternehmenskunden) der Windows-Desktop in die Cloud verlagert wird. Im Grunde ist es dann egal, ob der Nutzer an einem PC, vor dem Fernseher oder am Tablet oder Smartphone sitzt: Er ruft nur noch darüber die Windows-Instanz auf und hat sofort Zugriff auf seine persönlichen Daten, seine Programme und seine Desktop-Einstellungen. Und natürlich ist Office 365 gleich mit im Angebot enthalten. Windows und Office laufen auf virtuellen Maschinen in Microsofts Rechenzentren. Und die Instanzen können sich automatisch auf dem aktuellen Stand halten: keine lästigen Arbeitsunterbrechungen durch manuelle Updates mehr.
Immer weniger “persönliche” Spezialgeräte
Tatsächlich sollte diese Entwicklung weg von der persönlichen, potenten Hardware hin zum interaktiven Streaming nicht verwundern, denn die Vorreiter waren VHS-Rekorder, DVD-Player und mehr. Nicht nur ist der Content in die Cloud gewandert: Die Streaming-Anbieter haben auch dafür gesorgt, dass es keinen Bedarf an aufwendiger Hardware mehr gibt. Den Streaming-Stick gibt es ab 25 Euro. Und er reicht für die meisten Nutzer aus.
Hier liegen auch die Vorteil für die Konsumenten: Die meisten PCs und Spielekonsolen stehen den größten Teil der Zeit ungenutzt herum. Es ist gebundenes Kapital – und nach ein paar Monaten eigentlich schon wieder veraltet. Während Spieleenthusiasten noch eifrig in Aufrüstungen investieren, sind die PCs, die in Unternehmen wie zuhause für Büroarbeiten genutzt werden, oft hoffnungslos veraltet, aber eine teure Aufrüstung oder Neuanschaffung lohnt sich nicht.
Vielmehr investieren die Nutzer in leistungsfähige Smartphones und Tablets sowie in Großbildfernseher: Geräte, die prinzipiell für das Spiele- oder Desktop-Streaming mehr als ausreichend sind. Und Streaming-Sticks, die ebenfalls für viele Anwendungen ausreichen, sind längst in vielen Haushalten vertreten. Damit können Konsumenten Geld für selten genutzte Hardware sparen und gewinnen sogar noch Platz und Komfort.
Da die Berechnungen in externen Rechenzentren der Anbieter erfolgen, können dort auch jederzeit zusätzliche Kapazitäten bereitgestellt und die vorhandenen besser ausgelastet werden, als wenn die Rechner lokal im persönlichen Eigentum vorhanden sein müssen.
Optionale Ressourcennutzung
Aber auch für die Anbieter und Software- bzw. Spieleentwickler bieten die Konzepte Vorteile: Heute muss bei der Softwareentwicklung Rücksicht darauf genommen werden, dass viele ältere, weniger leistungsfähige Geräte bei den Kunden im Einsatz sind. Die Funktionen werden also so heruntergebrochen, dass eine möglichst breite Nutzerschicht erreicht werden kann. Bei Spielen kann der Nutzer dann eine höhere Auflösung und mehr Details in den Einstellungen aktivieren, falls er entsprechend leistungsfähige Hardware besitzt. Doch diese Berücksichtigung unterschiedlich leistungsfähiger Systeme kostet Zeit und damit Geld und verhindert so zum Teil Innovationen.
Wenn in Zukunft Spiele oder Anwenderprogramme mehr Rechenleistung benötigen, schaltet man im Rechenzentrum einfach ein paar weitere Ressourcen hinzu. Der Nutzer muss sich nicht über zu langsame Prozessoren, Grafikkarten und Festplatten ärgern. Und die Entwickler müssen keine Geräte unterstützen, die längst veraltet sind.
Das führt letztlich auch zu mehr Nachhaltigkeit: Es stehen weniger Geräte bei Endnutzern herum, die kaum verwendet werden und die einfach nur schnell altern.
Auf der anderen Seite allerdings verändert es bestehende Geschäftsmodelle fundamental: Wenn mir die Hardware nicht gehört, auf der die Anwendungen laufen, dann will ich die Anwendungen auch nicht käuflich erwerben, sondern werde sie mieten – im Idealfall abgerechnet nach der tatsächlichen Nutzungsdauer und -frequenz. Doch Abomodelle für Software sind nicht sehr beliebt: Es fehlt an Transparenz, welche Kosten durch die Nutzung tatsächlich anfallen – nicht nur im Moment, sondern langfristig, um die eigenen Daten zu sichern und bei Bedarf bearbeiten zu können.
Nutznießer sind vor allem Microsoft und Google, die selbst bereits flächendeckend entsprechend Rechenzentrumskapazitäten besitzen und nur geringe Umsätze mit Consumer-Hardware machen. Künftig könnten auch Amazon über seine AWS-Angebote und in geringerem Maße Facebook von solchen Streaming-Angeboten profitieren, und auch chinesische Player wie Tencent könnten auf den Zug aufspringen.
Problematisch wäre ein solcher Trend unter anderem für Apple: Der Konzern lebt vor allem von seinen Hardware-Verkäufen und befindet sich erst auf dem Weg hin zu einen serviceorientierten Dienstleister. Noch schlimmer könnte eine solche Entwicklung Samsung treffen sowie vor allem Hersteller PC-kompatibler Rechner und Notebooks samt Zubehör wie Grafikkarten und Speicherlösungen.
Die Vision: Immer dabei!
Für den Nutzer liegt der Vorteil eher in einem Gewinn an Flexibilität. Im Idealfall hat er überall Zugriff auf seinen Desktop, seine Daten und seine Spiele. Je nach Situation erfolgt der Zugriff über Smartphone, Tablet oder heimisches TV (oder auch den billigen, nicht mehr auf Leistung getrimmten, mehrere Jahre alten PC).
Wie sich die Gesamtkosten über den Zeitverlauf für die Nutzer gestalten, wird sich zeigen: Statt einmalig größere Summen in die Anschaffung zu investieren, wird zukünftig für die Nutzung gezahlt, sei es mit monatlichen oder jährlichen Pauschalen oder “on demand”; Abo-Modelle und Flatrates mit Zugriff auf einen Pool von Spielen werden wie beim Musik- und Videostreaming hier einiges in Bewegung bringen, was sich auch auf das Nutzungsverhalten auswirken wird.