Industrie 4.0: Von Wunsch und Wirklichkeit
Deutschlands Industrieunternehmen treiben die eigene Digitalisierung voran – dabei zeigen sich jedoch enorme Unterschiede zwischen Großunternehmen und Mittelstand. Das geht aus einer Studie der Einkaufs- und Supply-Chain-Management-Beratung INVERTO hervor. Dieser zufolge stimmen Theorie und Praxis der Digitalisierung bisher nur wenig überein; zudem droht der deutschen Industrie eine Spaltung.
Beim theoretischen Verständnis von Industrie 4.0 herrscht weitgehend Einigkeit: Fast alle Führungs- und Fachkräfte der Industrie betrachten das Thema als umfassende Veränderung, die alle Geschäftsbereiche der Unternehmen betrifft. Auch Zulieferer und Kunden, so die Mehrheit der Befragungsteilnehmer, würden von der Digitalisierung profitieren.
Doch in der Praxis sieht die Sache anders aus. So investieren viele Unternehmen vor allem in fertigungsnahe Digitalisierungsvorhaben und stellen Geschäftsbereiche wie Entwicklung, Einkauf oder Vertrieb zunächst zurück.
Umfassende Vernetzung: Wichtig, aber wohl nicht dringend
Zwar gehen 68 Prozent der von Befragten davon aus, dass die Einbeziehung von Zulieferern in Digitalisierungsvorhaben entscheidend für den Erfolg von Industrie 4.0 wäre. Doch nur ein Drittel der Firmen (32 Prozent) setzt derzeit bereits entsprechende Maßnahmen um oder plant diese zumindest (26 Prozent).
An der Vernetzung mit eigenen Kunden arbeiten offenbar noch weniger Unternehmen: Obwohl die Vernetzung zu den herausragenden Merkmalen einer digitalisierten Industrie 4.0 gehört und 32 Prozent der Befragten diese für “zwingend” halten, haben nur 11 Prozent aller untersuchten Firmen entsprechende Vorhaben gestartet; 33 Prozent planen zumindest Projekte. Doch 56 Prozent der Befragten beschäftigen sich derzeit “gar nicht” mit dem Thema Kundenvernetzung.
“Digitaler Reifegrad” – Großunternehmen liegen vorn
Die erwähnten Lücken zwischen Theorie und Praxis treten indes nicht überall auf: Konzerne und Großunternehmen (hier vereinfacht: Unternehmen mit mehr als 500 Mio. Euro Umsatz) schaffen es der Untersuchung von INVERTO zufolge erheblich besser, diese zu vermeiden oder zu schließen.
Zwar investieren auch die “Großen” überwiegend in fertigungsnahe Digitalisierungsvorhaben. Aber anders als viele kleinere Unternehmen forcieren sie zudem die Entwicklung digitaler Produkte (89 Prozent) oder Dienstleistungen (78 Prozent) oder investieren in Vorhaben zur Digitalisierung des eigenen Supply-Chain-Managements (ebenfalls 78 Prozent). Von den befragten kleineren Unternehmen (weniger als 500 Mio. Euro Umsatz) geben dagegen nur 53 Prozent Geld für die Digitalisierung von Maschinen aus. Bei Projekten in den anderen Bereichen investieren noch weniger – in Vorhaben zur Vernetzung mit Kunden beispielsweise nur 12 Prozent.
Wer trägt die Verantwortung?
Diese Diskrepanzen können auch noch anders erklärt werden als nur mit der unterschiedlichen Finanzkraft von Konzernen und Mittelständlern. Die Zahlen zeigen, dass die Themen “Digitalisierung” und “Industrie 4.0” offenbar nicht überall von der Geschäftsführung als relevantes Spitzenthema gesehen werden.
So gaben nur 55 Prozent der Befragten aus Großunternehmen an, die Geschäftsführung der eigenen Firma müsse sich in Industrie-4.0-Vorhaben einbringen, damit diese erfolgreich sein können; bei den Befragten aus kleineren Unternehmen meinen dies zumindest 60 Prozent.
Und während Führungskräfte in Großunternehmen eine Beteiligung von Entwicklungsabteilung oder Produktmanagement als entscheidende Voraussetzung sehen (82 bzw. 74 Prozent), betrachten die Verantwortlichen in kleineren Unternehmen dies als nachrangig (35 bzw. 40 Prozent).
“Diese Diskrepanzen bergen ein Risiko. Wenn Konzerne, die Industrie 4.0 umfassend vorantreiben, auf Mittelständler treffen, die weit weniger gut vorbereitet sind – dann droht unserer Industrie die Spaltung. Noch können die Führungskräfte der Unternehmen dem entgegenwirken, indem sie gezielt in unternehmensübergreifende Zusammenarbeit investieren. Lippenbekenntnisse dürften bald nicht mehr ausreichen – es braucht mehr konkrete Vorhaben”, appelliert Frank Welge, Supply-Chain-Management-Spezialist und Partner beim Beratungsunternehmen INVERTO.
Über die Studie
Für die Umfrage “Industrie 4.0 – Wunsch und Wirklichkeit” hat INVERTO im letzten August 50 Führungskräfte aus Großunternehmen (mehr als 500 Mio. Euro Jahresumsatz) und mittelständischen Firmen (bis 500 Mio. Euro Jahresumsatz) befragt. Gegenstand der Untersuchung waren das Verständnis von Industrie 4.0, Umfang laufender und geplanter Digitalisierungsvorhaben sowie Informationen zu den Verantwortlichkeiten. Das Whitepaper zur Studie “Industrie 4.0 -Wunsch und Wirklichkeit” kann kostenlos unter www.inverto.com/studien heruntergeladen werden.
Über die INVERTO AG
Die INVERTO AG ist eine international tätige Unternehmensberatung, die ihre Kunden in allen Fragen des strategischen Einkaufs und des Supply-Chain-Managements unterstützt. Mit rund 130 Mitarbeitern in neun Niederlassungen weltweit sowie eigener E-Sourcing-Technologie ist Inverto gemessen am Umsatz der führende unabhängige Spezialberater für Einkauf und Supply-Chain-Management in Europa. Zu den Kunden zählen marktführende Mittelständler, Konzerne aus Industrie und Handel sowie die weltweit größten Private-Equity-Unternehmen.
(Quelle: PM Inverto)