Freihandelsabkommen TTIP: Das bringt der freie Handel für den Einkauf
Gastbeitrag: Ismail Akgün, INVERTO AG
Seit Juli 2013 verhandeln USA und EU über das Freihandelsabkommen „Transatlantic Trade and Investment Partnership“. Sollte es umgesetzt werden, dürfte das den internationalen Handel stark verändern. Was bringt TTIP für die Beschaffung? Vor welche Herausforderungen stellt es Einkäufer?
TTIP zielt vor allem auf eines: Es soll den Abschluss von Geschäften sowohl für Unternehmen aus den USA als auch aus der EU erleichtern. Das Abkommen soll sowohl „tarifäre“ Handelserschwernisse – Zölle und andere Einfuhrkosten – als auch „nicht tarifäre“ Handelshemmnisse abbauen. Zu letzteren gehören vor allem technische Vorschriften, industrielle Sicherheits- und Umweltstandards, Sicherheitsgarantieregeln für Lebens- und Arzneimittel oder Zulassungsbedingungen. Befürworter des Abkommens sehen große Chancen für Unternehmen auf beiden Seiten. Kritiker hingegen befürchten, dass das Abkommen EU-weite Standards aufweichen und Regelungen gefährden sowie den internationalen Wettbewerb zu Lasten europäischer Unternehmen verzerren könnte.
Neue Deklarations- und Nachweisregeln
Einkäufer dürfte das Abkommen erst einmal vor ganz sachliche Herausforderungen stellen, vor allem bezüglich des Umgangs mit Deklarations- und Nachweisregeln. Denn die könnten sich im Zuge von TTIP verändern, vor allem in der Lebensmittelindustrie. Beispiel „genmanipulierte Lebensmittel“: In der EU sind diese Lebensmittel nach wie vor nicht oder nur unter strengen (Kennzeichnungs-)Auflagen zugelassen. In den USA dagegen sind genetisch veränderte Lebensmittel erlaubt und müssen in der Regel auch nicht gekennzeichnet werden. Das amerikanische Agrarministerium schätzt, dass heute bereits rund 90 Prozent der in den USA verzehrten Sojabohnen, Zuckerrüben und Maispflanzen genetisch optimiert wurden. Die USA dürften deshalb ein Interesse daran haben, eine Lockerung der EU-Vorschriften und somit eine Angleichung der hiesigen Regularien an den US-Markt zu erreichen. Denn US-Unternehmen könnten Milliarden verdienen, wenn sie ihr Saatgut, ihre Rohstoffe und ihre Produkte nach Europa exportieren dürften.
Doch auch im Bereich der Markenschutzbestimmungen könnte TTIP Veränderungen bringen. So wird beispielsweise berichtet, das Abkommen würde zu einer weitgehenden Aufweichung des „Spezialitätenschutzes“ führen, also des Schutzes geografischer Herkunftsbezeichnungen wie „Schwarzwälder Schinken“ oder „Nürnberger Bratwurst“. Inwieweit diese Darstellungen zutreffen, ist schwierig zu prüfen. Laut EU-Kommission soll TTIP den „Spezialitätenschutz“ sogar verbessern. Konkret solle der Schutz europäischer Spezialitäten auf den amerikanischen Markt ausgedehnt werden, heißt es in Veröffentlichungen der Kommission. Darin weist das Gremium auch darauf hin, dass die EU bereits vor TTIP den Schutz hunderter geografischer Ursprungsbezeichnungen in den USA erwirkt habe – etwa für Champagner, der nur aus der französischen Champagne kommen darf, oder Lübecker Marzipan. Dass die USA derartige Vereinbarungen nur teilweise umsetzen – so stellen amerikanische Weinbauern beispielsweise jedes Jahr tausende Flaschen „Champagner“ her, ohne dafür sanktioniert zu werden – bleibt dabei häufig unerwähnt. Zudem lassen Berichte vermuten, dass das Thema „Spezialitätenschutz“ bei keiner der beiden Verhandlungsparteien wirklich hohe Priorität genießt.
Fest steht in jedem Falle: Sollte der Schutz aufgehoben werden, wäre es beispielsweise möglich, Hartkäse günstig in Wisconsin herzustellen und diesen als „Parmesan-Käse“ in deutschen Supermärkten zu vermarkten. Andererseits könnte es für Einkäufer schwierig werden nachzuvollziehen, ob das eingekaufte „Montana US Beef“ wirklich von Weiderindern aus Montana und nicht aus einem Mastbetrieb inmitten Floridas stammt.
Am Beispiel Rindfleisch lässt sich noch eine weitere mögliche Auswirkung von TTIP zeigen: In den USA ist die Tierzucht unter Zugabe von Hormonen erlaubt. Das hat zur Folge, dass durch ein Tier mehr Fleisch produziert werden kann, was folglich zu einer effizienteren Mast und damit zu günstigeren Fleischpreisen führt. Die USA hätten damit einen Wettbewerbsvorteil, den deutsche Fleischimporteure unter Umständen für sich nutzen könnten, der aber auch die europäischen Produzenten unter Druck setzen würde.
Mehr Wettbewerb, günstigere Preise – und mehr Aufwand für Einkäufer
Ob TTIP daher ein Segen oder doch eher ein Fluch ist, kann an dieser Stelle nicht bewertet werden. Grundsätzlich sind aber Auswirkungen denkbar, die bisher jedes Freihandelsabkommen nach sich zog: neue Marktchancen, neue Regeln, mehr Wettbewerb und sinkende Preise.
Beim Einkauf können sich die Unternehmen erst einmal über mehr Wettbewerb und damit einhergehend über fallende Preise freuen. Allerdings stellt der Import amerikanischer Waren Beschaffungsverantwortliche vor neue Herausforderungen: Sie werden nicht umhin kommen, sich mit den veränderten Marktparametern genau auseinanderzusetzen und sich auf Mehrarbeit einzustellen. Einkäufer von Bio- oder deklarierungspflichtigen Produkten wie beispielsweise Babynahrung werden einen gewissen Aufwand betreiben müssen, um den Nachweis „frei von Genmanipulation“ für ihre Produkte sowie für die entsprechenden Vorlieferanten zu erbringen. Je komplexer dabei die Zusammenhänge sind, desto mehr Vorbereitung wird es erfordern.
Grundsätzlich dürfte daher gelten: Kommen für ein Unternehmen die USA künftig als Beschaffungsmarkt in Frage, sollte zeitnah begonnen werden, entsprechende Markt- und Lieferantenkenntnisse aufzubauen und die Umstellung des eigenen Lieferantenmanagements auf transatlantischen Handel zu planen. Denn welche konkreten Veränderungen TTIP auch immer bringen mag: Wirklich nutzen kann sie nur, wer sich gut vorbereitet.
Während sich einige Unternehmen mit den Herausforderungen und Chancen des Abkommens noch nicht näher beschäftigt haben, prüfen andere die marktverändernden Gegebenheiten genauer, um diese in ihren strategischen Planungen zu berücksichtigen.
INVERTO hat Alexander Rolff, den Brauereichef der Früh Kölsch Brauerei gefragt, wie er das Thema TTIP betrachtet.
Herr Rolff, hat sich Ihr Unternehmen schon mit dem bevorstehenden Freihandelsabkommen (TTIP) beschäftigt?
Ja, wir haben uns frühzeitig selbst über Rechtsgrundlagen und Stand der Verhandlungen informiert. Der für uns wichtigen Spezialitätenschutz steht derzeit wohl nicht in Frage.
Welche Chancen und Herausforderungen sehen Sie?
Für uns selbst erwarten wir nur wenige Vorteile. Zwar könnten einige Hürden verschwinden, die uns den Export von Kölsch in die USA heute erschweren. Doch die meisten davon meistern wir heute schon recht gut. Im Gegenzug rechnen wir aber auch nicht mit Nachteilen wie neuem Wettbewerb: Ein Kölsch aus Kalifornien dürfte den meisten Kunden wohl nicht glaubhaft erscheinen. Außerdem erzielen Biere in Deutschland vergleichsweise niedrige Preise – unser „Heimatmarkt“ dürfte für amerikanische Brauereien daher nur begrenzt interessant sein.
Wie schätzen Sie den Einfluss dieses Abkommens auf den europäischen Beschaffungsmarkt ein, vor allem auf Ihr Unternehmen und Ihre Branche?
Wie fast alle Brauereien beschaffen wir vor allem in regionalen Beschaffungsmärkten. Deshalb dürfte TTIP auch kaum Änderungen für unseren Einkauf bringen. Dafür ist der Anteil der Logistikkosten am Gesamtwarenwert zu hoch. Wenn überhaupt, können vermutlich Brauereien mit einem unmittelbaren Zugang zu Wasserstraßen geringfügige Vorteile aus TTIP ziehen.
Über den Autor
Ismail Akgün ist Senior-Consultant bei der INVERTO AG in Köln und Mitglied des Competence Center Retail Food and FMCG. Während seines BWL-Studiums mit dem Schwerpunkt Finance & Investment und Wirtschaftspsychologie war er bereits bei INVERTO als Werksstudent tätig und berät nun seit drei Jahren Kunden aus dem Bereich Industrie und Handel.
(Abdruck mit freundlicher Genehmigung der INVERTO AG)