ERFOLGreicher Industrieeinkauf
Ein Gastbeitrag von Dr. Guido Wenski
Akronyme sind in Zusammenhang mit Verhandlungen keine Seltenheit – denken Sie nur an BATNA („Best Alternative To a Negotiated Agreement“ – die Anfangsbuchstaben für den „Plan B“ aus dem Harvard-Konzept) oder SMART (für die Eigenschaften von Zielen). Vor diesem Hintergrund wird hier mit Blick auf Einkaufstätigkeiten in der Wirtschaft das positiv belegte Wort ERFOLG thematisiert, zusammengesetzt aus den Anfangsbuchstaben von Begriffen, die wichtige Voraussetzungen für ein erfolgreiches Beschaffungswesen sind.
„Einkaufen kann doch jeder“, mag mancher denken, der nur einen flüchtigen Blick auf die Tätigkeiten der entsprechenden Fachabteilung in einem Unternehmen wirft. Dennoch wird in der Wirtschaft (und nicht nur dort) regelmäßig viel Geld verschenkt, weil bestimmte Grundvoraussetzungen für die erfolgreiche Beschaffungstätigkeit nicht konsequent umgesetzt werden.
Vielfach ist der Einkauf zu stark auf die Erarbeitung von Preisreduktionen fixiert, denn seine Leistung wird oftmals primär über die verhandelten Konzessionen des Lieferanten (mit den als Savings bezeichneten Einsparungen als Kennzahl) gemessen. Zahlreiche Publikationen unterstützen dieses Bild und verweisen – zu Recht – darauf, dass jeder eingesparter Euro unmittelbar ergebniswirksam wird.
Doch um alle Möglichkeiten einer Einkaufsorganisation mit Blick auf den wirtschaftlichen Erfolg nutzen zu können, bedarf es weit mehr als der Strategie, lediglich mit den Mitarbeitern der Abteilung auf den Preis zu beschaffender Güter loszugehen. Auch die Erweiterung des Anforderungskatalogs auf Lieferantensuche (Sourcing) und Sicherstellung der Versorgung reicht nicht aus.
Zur Erläuterung des erweiterten Anforderungsspektrums für optimale Beschaffungserfolge werden im Folgenden sechs Themenfelder betrachtet, deren Anfangsbuchstaben eben jenes Akronym ERFOLG ergeben. Lassen Sie uns paarweise vorgehen.
Regeltreue Einkäufer
An oberster Stelle der Voraussetzungen steht natürlich ein kompetenter Einkäufer (E). Hier ist resilientes, analytisch denkendes Personal gefordert, das überwiegend über ein tech-nisch-naturwissenschaftliches oder kaufmännisches Studium bzw. eine solche Ausbildung verfügen sollte. Die Zeiten, in denen Organisationen an anderer Stelle nicht mehr benötigte Mitarbeiter in die Beschaffungsabteilung „entsorgten“, ist in den meisten Unternehmen der Industrie glücklicherweise weitgehend vorbei. Die Einkaufsabteilungen suchen sich kompetentes Personal aus, das im strategischen oder operativen Einkauf hochprofessionelle Arbeit leistet.
Neben den fachlichen sind dabei auch die persönlichen Fähigkeiten entscheidend, etwa eine ausgeglichene Balance zwischen Rationalität und Empathie sowie Souveränität, Durchsetzungsvermögen, Teamgeist und interkulturelle Kompetenz.
Regeln (R) müssen sein, und das Unternehmen hat sicherzustellen, dass sein Regelwerk umfassend, jedoch nicht zu kleinlich verfasst ist. Unter Regeln sind dabei sowohl interne Vorgaben und vertragliche Vereinbarungen als auch gesetzliche Normen zu verstehen; letzteres betrifft Arbeits-, Vertrags- und Umweltrecht ebenso wie das Außenwirtschaftsgesetz und viele weitere Regelwerke.
In Zusammenhang mit Regeltreue (englisch Compliance) steht auch eine Einkaufsabteilung im Fokus, denn wie ein Damoklesschwert hängt die Versuchung der Bestechlichkeit über ihr. Belastbare Zahlen über das Ausmaß in Deutschland liegen nicht vor, denn die Dunkelziffer ist hoch. Für Einkäufer ist die Annahme von Geld oder Geschenken von Lieferanten für eine Gegenleistung im Rahmen ihrer Tätigkeit ein absolutes No-Go. Damit ist nicht die Akzeptanz von Bewirtungen und Weihnachtsgeschenken im steuerlich abzugsfähigen Rahmen gemeint, doch letztgenannte Gaben werden in den letzten Jahren in der Praxis glücklicherweise immer bescheidener.
Unternehmenskultur und Führung
Die besten Einkäuferinnen und Einkäufer können sich nicht adäquat entfalten und gute Ergebnisse erarbeiten, wenn Vorgesetzte und Top-Management ihnen das Leben schwer machen – das gilt natürlich für andere Funktionen in der Organisation ebenso. Dabei kommt es insbesondere auf den Einkaufsleiter an: nach welchen Kriterien er seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auswählt und wie er sie führt.
Moderne Führung (F) setzt auf die Nutzung und Weiterentwicklung von Stärken sowie auf intrinsische Motivation und die Delegation von Verantwortung. Autoritäre Chefs alter Schule, die Reisekostenabrechnungen penibel prüfen, Mikromanagement praktizieren und ihr Ego (oder ihre Entscheidungsschwäche) permanent zur Schau stellen, sind out. Kompe-tente Einkaufsleiter lassen ihre Mitarbeiter verhandeln und entscheiden und schalten sich möglichst erst dann ein, wenn eine höhere Eskalationsebene benötigt wird. So unterstützen sie den Beschaffungserfolg am effektivsten.
Ein auf die Unternehmensziele zugeschnittenes Organigramm ist das A und O für den Erfolg. Sind die Leitungsfunktionen in einer den Anforderungen entsprechend konzipierten Organisation (O) – wiederum nicht nur im Einkauf – mit kompetenten Führungskräften besetzt, wirkt sich dies zwangsläufig positiv auf die Unternehmenskultur aus, die dadurch konstruktiver gestaltet wird. Innere (und auch reale) Kündigung von frustrierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wird so minimiert, und die Arbeitsleistung steigt. Dies wiederum setzt voraus, dass Funktion und Führungskraft zusammenpassen und letztere für ihre Aufgaben nach Kompetenzprofil ausgewählt wird.
Schulungswesen und Geschäftsmodell
Die Konzeption des Schulungswesens trägt mit dazu bei, besagte Kompetenzen des Personals für die zu erledigenden Aufgaben durch Lernerfolge (L) sicherzustellen.
Während man vor allem im Vertriebsbereich an Seminaren gewöhnlich nicht spart, wird in den Beschaffungsabteilungen dafür nur ein Bruchteil investiert. Ein Einkäufer, eine Einkäuferin lernt vielfach nach dem Motto „Learning by Doing“ und lässt auf diesem Weg vermutlich einiges an Savings und Möglichkeiten liegen. Meine persönliche Erfahrung im Seminarbereich zeigt, dass die Vermittlung der Grundlagen von Beschaffungswesen und Verhandlungsführung rasche Verbesserungen im Vorgehen ermöglicht. Flankierend dazu ist ein persönliches Coaching von neuen Einkaufsmitarbeitern durch erfahrenes Personal sinnvoll.
Übrig bleibt das G, das für das Geschäftsmodell des Unternehmens stehen soll. Natürlich hat der einzelne Einkäufer, die einzelne Einkäuferin hierauf gewöhnlich nur einen sehr untergeordneten Einfluss. Dennoch ist die Gesamtausrichtung auch für Beschaffungserfolge relevant: Es spielt eine gravierende Rolle, wie erfolgreich sich einerseits die eigenen Produkte verkaufen lassen und wie andererseits der Anbietermarkt für die notwendigen Produktionsanlagen und Ausgangsstoffe strukturiert ist.
Gelingt es dem Einkäufer, Wettbewerb aufzubauen, oder ist er Single-Source-Quellen und Quasi-Monopolisten machtlos ausgeliefert? Je nach Beschaffungsobjekt und -land, Spezifikation und Marktsituation, Zentral- oder Lokaleinkauf kann man sich eine Vielzahl von Szenarien vorstellen, in welchen der Einkauf als Bindeglied zwischen seinen Lieferanten und den internen Kunden eine entscheidende Rolle für den nachhaltigen Erfolg spielt.
In vielen Unternehmen finden sich hinsichtlich des einen oder anderen genannten Punktes Defizite. Doch mit dieser einfachen ERFOLGsformel lassen sich Themenfelder identifizieren und bearbeiten, auf denen Nachholbedarf besteht:
E inkäufer (persönliche Kompetenz)
R egeltreue (funktionierendes Compliance-Wesen)
F ührungskompetenz (von Einkaufsleiter und Top-Management)
O rganisation (lernende; Unternehmenskultur)
L ernen (Schulungsangebote; Coaching)
G eschäftsmodell (Markt / Wettbewerb / Produkte)
Fazit: Investitionen in Einkäuferauswahl und -schulung, Führungskräfteentwicklung und zukunftsträchtige Produktfelder besitzen eine deutlich größere Hebelwirkung im Hinblick auf den Unternehmenserfolg als bloße Preispolitik in der Beschaffung.
Dr. Guido Wenski ist Autor und selbstständiger Verhandlungstrainer. Davor war er als strategischer Einkäufer in der Halbleiterindustrie tätig. Guido Wenskis aktuelle Buchpublikationen Lösungsorientiert verhandeln im Technischen Vertrieb und Beraterverkauf im globalen B2B-Equipmentgeschäft sind auch für Einkäuferinnen und Einkäufer eine lohnende Lektüre. Mehr Informationen zu den Büchern und ausführliche Leseproben gibt es auf der Website des Verlags Springer.
(Bild von Gerd Altmann auf Pixabay)