Die Produktivitäts-Falle: Sind Sie auch beschäftigt?
Beschäftigt zu sein ist gut. Beschäftigt zu sein ist wichtig. Da will man nicht stören. Aber verstecken wir uns nicht manchmal nur hinter einer Fassade, mit der wir vorgeben, beschäftigt zu sein?
“Oh, Sie sind beschäftigt. Dann will ich nicht stören.” Das waren auch die Worte, mit denen ein Kollege, auf dessen Unterlagen ich seit einer Woche wartete, einen Blick in mein Büro warf … und gleich darauf schon fast wieder verschwunden war. Ich konnte ihn gerade noch zurückhalten, denn in der vergangenen Woche war es immer er gewesen, der ständig beschäftigt war.
Aber es geht gar nicht um die konkrete Interaktion mit meinem Kollegen. Die Situation hat mich nur dazu geführt, über das Beschäftigtsein ein wenig nachzudenken. Und tatsächlich: Ist es nicht oft so, dass wir „beschäftigt“ zu sein als eine Auszeichnung vor uns her tragen? Wer nicht beschäftigt ist, hat nichts zu tun. Vielleicht ist er faul, zu nichts zu gebrauchen, hat keine Interessen oder hat sonst irgendeine Macke? Und noch viel schlimmer: Wenn mich jemand dabei erwischt, wie ich faulenze und nichts zu tun habe, dann könnte er mir irgendeine unliebsame Tätigkeit aufhalsen. Es ist also besser, ich wirke zumindest beschäftigt.
Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass jemand, der beschäftigt ist, irgendwie produktiv ist. Aber stimmt das eigentlich? Was ist eigentlich Produktivität? Im Büro habe ich manchmal das Gefühl, diejenigen gelten als besonders produktiv, die ihre Aufgaben nur erledigt bekommen, wenn sie zwei Überstunden dranhängen. Die Kollegin, die das gleiche Pensum viel effizienter und schneller abarbeitet und deshalb manchmal schon vor halb vier aus dem Büro kommt, wird schief angesehen. Das ist doch eigenartig. Im Job liefert sie den gleichen Output wie der Kollege mit den Überstunden, braucht aber ein Drittel weniger Zeit. Wenn wir Produktivität am Output festmachen, sind also beide gleich produktiv. Betrachten wir aber den Output in einer bestimmten Zeiteinheit, dann ist die Kollegin wesentlich produktiver.
Aber damit nicht genug: Wie oft hetzen wir hektisch von einer Aufgabe zur nächsten, stellen aber am Abend fest, dass wir mit den wichtigen Dingen keinen Millimeter voran gekommen sind. Wie oft suchen wir uns eigentlich nutzlose Beschäftigungen, um uns mit einer drängenden, aber unangenehmen Sachen gar nicht beschäftigen zu müssen? Wie viele Minuten oder Stunden verbringen Sie jeden Tag damit, aufs Handy zu schauen, E-Mails zu lesen und zu beantworten, auf Facebook, Instagram, WhatsApp oder Twitter „auf dem Laufenden“ zu bleiben? Und wie oft täuschen Sie vor sich und anderen nur vor, produktiv und beschäftigt zu sein?
Fatal ist besonders, dass wir bei all dem „Beschäftigtsein“ keine Zeit für die wirklich wichtigen Dinge des Lebens finden. In der Rückschau frage ich mich oft, was vom Tag übrig geblieben ist. Wie viel Zeit habe ich verloren, indem ich „beschäftigt“ war und keine Zeit für das gefunden habe, was wirklich angepackt gehört?
(Dieser Artikel von Inge Dinge erschien zunächst im Blog Die Dinge-Diät. Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung der Autorin.)