Die Corona-Krise lässt auch Österreichs Chemieindustrie nicht ungeschoren
Auch die Herstellung chemischer Produkte, im Folgenden kurz Chemieindustrie genannt, kann sich der coronabedingten Krise nicht entziehen, sollte aber das Jahr 2020 mit einem im Industrievergleich geringeren Minus beenden.
- Produktion und Umsatz der österreichischen Chemieindustrie werden im Jahr 2020 in Folge der Corona-Krise im Bereich von 5 bis 10 Prozent schrumpfen
- Chemieumsatz ist 2019 um 1,1 Prozent auf 14,6 Milliarden Euro gesunken
- Wachstumsperspektiven der Chemieindustrie sind unverändert positiv
- Bis Mai 2020 konnten sogar 2 Prozent mehr Arbeitsplätze geschaffen werden als im Vorjahr
- Klimaschutzmaßnahmen erfordern auch von der Chemieindustrie hohe Investitionen
„Das Jahr begann für die Branche mit einem Produktionsplus von 8 Prozent im ersten Quartal. Zudem ist die Zahl der Beschäftigten bis Mai um durchschnittlich 2 Prozent gestiegen, was auf eine zufriedenstellende Auslastung der Produktionskapazitäten hinweist. Die Chemieunternehmen müssen 2020 dennoch mit einem Produktions- und Umsatzminus im Bereich von 5 bis 10 Prozent rechnen“, sagt UniCredit Bank Austria Ökonom Günter Wolf. „Aufgrund der weiterhin hohen Unsicherheit hinsichtlich des Tempos der Wirtschaftserholung in wichtigen Chemie-Absatzmärkten im Jahr 2020 können Abweichungen in der Schätzung der Branchenentwicklung aber nicht ausgeschlossen werden“, ergänzt Wolf.
Ein durchwachsenes Chemiejahr 2019
Gemessen am Produktions- und Beschäftigungszuwachs von jeweils rund 3 Prozent ist 2019 für Österreichs Chemieindustrie im langfristigen Vergleich sehr erfreulich verlaufen. Von 2008 bis 2018 sind sowohl die Branchenproduktion als auch die Zahl der Beschäftigten im Durchschnitt um weniger als 0,5 Prozent im Jahr gestiegen. Mit dem Ergebnis 2019 konnte die heimische Chemieindustrie ihren Wachstumsvorsprung nicht nur im nationalen Industrievergleich weiter ausbauen, sondern auch im europäischen Branchenvergleich.
Aufgrund von Preisrückgängen in einigen Segmenten ist der Chemieumsatz 2019 allerdings um 1,1 Prozent nominell auf rund 14,6 Milliarden Euro gesunken. Die stärksten Umsatzeinbußen berichteten die Hersteller anorganischer Chemikalien und von Kunststoffen. Die Umsätze beider Sparten sind aufgrund rückläufiger Preise unter Druck geraten.
Wie der Vergleich der Entwicklung der Exportwerte mit den Exportmengen bei den Produktgruppen zeigt wurden 2019 wertmäßig um 14 Prozent weniger anorganische Chemikalien aus Österreich exportiert, mengenmäßig aber sogar um 0,3 Prozent mehr. Die Kunststoffexporte sind wertmäßig um 9 Prozent gesunken, die Exportmengen nur um 2 Prozent.
Umsatzrückgang 2020 fällt weniger stark aus als 2009
Im ersten Quartal 2020 ist die Chemieproduktion in Österreich um 8 Prozent und damit überdurchschnittlich stark gestiegen. Allerdings hat sich der Rückgang der Erzeugerpreise noch beschleunigt und bremste das Umsatzwachstum der Branche von Jänner bis März 2020 auf 2 Prozent. Dass die Erzeugerpreise der Chemie bis April, den jüngsten Daten, um 5,1 Prozent gesunken sind, kann zum Teil mit dem Einbruch bei den Preisen für das Erdöldestillat Naphtha erklärt werden, dem wichtigsten Rohstoff petrochemischer Produkte, beispielsweise von Kunststoffen. Zwischen Jänner und April 2020 ist der Naphthapreis um über 70 Prozent gefallen.
Ein Signal für die zunehmenden Absatzschwierigkeiten der Branche ist darüber hinaus der gestiegene Preisdruck in der Chemieindustrie. Im April dürfte die Branchenkonjunktur vollends in den Sog der Corona-Krise geraten sein, was sich daran zeigt, dass die Produktionserwartungen der Unternehmen für die nächsten Monate unter ihren bisher tiefsten Wert von 2009 gesunken sind. Die Chemieunternehmen sind in der jüngsten Konjunkturbefragung im Mai ähnlich pessimistisch wie im Vormonat geblieben.
Bemerkenswert ist, dass in der Chemieindustrie – als einer von wenigen Industriebranchen – bis Mai neue Arbeitsplätze entstanden sind – seit Jänner um durchschnittlich 2 Prozent mehr als im Vorjahr. Zudem sind die Erwartungen der Unternehmen hinsichtlich der Beschäftigungsentwicklung in den nächsten Monaten auch noch im Mai relativ optimistisch geblieben. Nicht zuletzt lag die Kapazitätsauslastung der Branche im zweiten Quartal 2020 mit 79 Prozent noch deutlich über dem Industriedurchschnitt von 74 Prozent.
Allerdings ist die Auslastung erstmals seit 2009 wieder unter 80 Prozent gefallen und wird sich voraussichtlich in den nächsten Monaten weiter verschlechtern, da die Chemie vor erheblichen Absatzschwierigkeiten steht. Europas Wirtschaft und damit auch die Nachfrage nach Chemieprodukten aus Österreich werden sich nur langsam wiederbeleben. Entsprechend pessimistisch waren die Einschätzungen der Auftragslage und die Produktionserwartungen der Chemieunternehmen im Mai.
„Die weiterhin positive Entwicklung der Beschäftigung in der heimischen Chemieindustrie lässt darauf hoffen, dass die Produktion und die Umsätze der Branche 2020 weniger tief sinken als noch 2009 zur Finanzkrise, als ein Rückgang in der Produktion von 11 Prozent und ein Rückgang der Umsätze von 14 Prozent verbucht werden musste. Die Branche muss 2020 dennoch mit einem Produktions- und Umsatzminus im Bereich von 5 bis 10 Prozent rechnen. Aufgrund der hohen Unsicherheit hinsichtlich der weiteren Wirtschaftsentwicklung in wichtigen Absatzmärkten ist die Schätzung aber mit einer relativ hohen Schwankungsbreite verbunden und lässt auch Korrekturen weiter nach unten zu.“
Chemie wächst langfristig rascher als die Gesamtwirtschaft
Die Chemieindustrie bedient ein sehr breites Kundenspektrum, wozu die Kunststoffverarbeiter, die Hersteller von Elektronik und Elektrotechnik, von Papier, Textilien, Lebensmitteln, Stahl sowie Metallwaren ebenso zählen wie der Bau und die Pharmaindustrie. Rund 48 Prozent der in Österreich verbrauchten Chemieerzeugnisse werden als Vorprodukte weiterverarbeitet (im Vergleich zu 37 Prozent im Industriedurchschnitt), weitere 5 Prozent werden von den Haushalten direkt konsumiert und der Rest exportiert.
Die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten chemischer Produkte, aber auch die hohe Konkurrenzfähigkeit der Branche sichern langfristig Wachstumsraten, die sogar leicht über den gesamtwirtschaftlichen Zuwächsen liegen. Seit Mitte der 90er Jahre ist die Wertschöpfung der Chemieindustrie preisbereinigt um 3,6 Prozent pro Jahr gestiegen, die Wertschöpfung aller Sektoren in Österreich dagegen nur um knapp 2 Prozent.
Das Schwergewicht der österreichischen Chemieindustrie ist die Herstellung von Rohkunststoffen, die mit etwa 7,6 Milliarden Euro mehr als die Hälfte zum Branchenumsatz beiträgt. Weitere 1,9 Milliarden Euro beziehungsweise 13 Prozent vom Branchenumsatz stammen von der Chemiefasererzeugung, die in den letzten zehn Jahren die wachstumsstärkste Sparte war.
Die Exporterfolge mit Chemiefasern verhinderten längerfristig auch einen stärkeren Anstieg des Außenhandelsminus mit Chemiewaren. 2019 hat die Produktgruppe einen Exportüberschuss von rund 960 Millionen Euro zur Außenhandelsrechnung beigetragen. In Summe belief sich das Defizit auf 560 Millionen Euro.
Klimaschutzmaßnahmen erfordern auch in der Chemie hohe Investitionen
Eine treibende Kraft für den weiteren Strukturwandel in der Herstellung chemischer Produkte bleibt der Klimaschutz. Die Branche liefert einerseits essenzielle Vorprodukte für CO2-sparende Technologien in den Bereichen erneuerbare Energien, Mobilität und im Wohnbau. Andererseits ist die Chemieindustrie auch für 8 Prozent aller Treibhausgasemissionen der Industrie in Österreich verantwortlich.
Die Branche arbeitet im EU-Vergleich zwar relativ emissionsarm – gemessen an der Emissionsintensität von 890 Tonnen CO2-Ausstoß pro Million Euro Wertschöpfung, die um 14 Prozent unter dem EU-Schnitt liegt. Um bis zum Jahr 2050 klimaneutral zu produzieren, sind dennoch erhebliche Investitionen erforderlich.
Eine Analyse des Instituts für industrielle Ökologie kommt zum Schluss, dass eine weitgehende Dekarbonisierung allein bei der Erzeugung chemischer Grundstoffe in den nächsten drei Jahrzehnten einen Investitionsbedarf von 580 Millionen Euro pro Jahr erfordert. Abzüglich der laufenden Investitionen, die schon bisher zur Effizienzsteigerung in der Chemieindustrie ausgegeben werden, bleibt noch ein Investitionsbedarf von wenigstens 260 Millionen Euro pro Jahr, um das Ziel zu erreichen.
„Um die nationalen Klimaziele bis 2050 zu erreichen, muss die Chemieindustrie in Österreich ihr jährliches Investitionsvolumen von durchschnittlich 760 Millionen Euro in den vergangenen drei Jahren um wenigstens ein Drittel pro Jahr aufstocken“, betont UniCredit Bank Austria-Ökonom Günter Wolf daher abschließend.
(Quelle: UniCredit Bank Austria Economics & Market Analysis Austria)