Business-Analyse (Teil 2): In vier Schritten zum tragfähigen Business Case
Wir werden sehen, worauf wir achten müssen, wenn wir mithilfe dieser Erkenntnisse einen tragfähigen Business Case erstellen wollen, um Kosten und Nutzen zusammen zu bewerten und eine für das ganze Unternehmen Gewinn bringende Entscheidung zu treffen.
„Ach, da machen wir mal schnell einen Business Case, dann wird das Projekt zügig durchgewunken…“ – das ist leider eine gängige Einstellung in vielen Unternehmen. Die Genehmigung des Projektes steht im Vordergrund; niemand interessiert sich wirklich für die Inhalte und Details – der Business Case verkommt zur Pflichtübung. Da wird dann womöglich mit Unwahrheiten jongliert und so wird der Business Case letztendlich unrealistisch. Schade und nicht ganz ungefährlich, denn für das Projekt danach bedeutet das, dass der Business Case nicht als Hilfestellung bei der Umsetzung genutzt werden kann – und das Unternehmen trifft möglicherweise eine fatale Fehlentscheidung.
Bei einem solchen Vorgehen ist es dann auch üblich, alle Kosten und allen Nutzen zu monetarisieren, also alle Positionen in Eurobeträgen auszudrücken. Das ist nicht immer falsch, aber meist einfach nicht zielführend: Posten werden vergessen oder unzulässig zu Euro-Beträgen “hochgerechnet”– und Geldbeträge werden generell oft “schöngerechnet”, um eine bestimmte Grenze nach oben oder unten nicht zu über- oder zu unterschreiten. Natürlich lassen sich bestimmte Kosten, etwa eine IT-Hardware-Anschaffung, Software-Entwicklung oder Schulungen in Euro ausdrücken. Und auch an bestimmte Nutzen, etwa eine Einsparung von x Minuten pro Mitarbeiter oder Kosten eines geringeren Lagerbestands, lassen sich Geldbeträge knüpfen. Dass das aber für Nutzen grundsätzlich schwierig oder sogar unzulässig sein kann, haben wir im ersten Teil der Serie schon gesehen.
Der Nutzen als Knackpunkt: Wie es funktionieren kann
Wie aber geht man nun mit dem Nutzen im Business Case richtig und zielführend um?
Im ersten Schritt hilft es, den Nutzen erst einmal generell zu kategorisieren. Dazu kann man die Benefits aus unserem Dependency Network wieder aufgreifen – die nämlich lassen sich leicht in drei Typen einteilen:
- Neue Dinge tun: Etwa in unserem Lagerbeispiel: neue Daten erheben, um einen besseren Überblick über die Bewegungen im Lager zu haben.
- Dinge besser machen (optimieren): Das wäre hier, die bestehenden Daten zeitnaher zu erheben oder die Anzahl der Lieferanten zu verringern.
- Aufhören, Dinge zu tun: zum Beispiel die Lagerstandsdaten nicht mehr zu erheben, die nie genau genug waren oder die niemand verwendet.
Die Crux dabei ist: Die meisten Unternehmen sind gut in 1.), viele in 2.), aber die wenigsten in 3.). Dazu kommt noch, dass die meisten vergessen, dass es Energie und Zeit kostet, um Arbeitsabläufe zu stoppen. Wenn ein Unternehmen sich nie an 3.) heranwagt, wird alles immer komplizierter … aber das nur als Tipp am Rande.
Im zweiten Schritt müssen wir nun den Nutzen explizit machen. Und das klappt NICHT, indem wir Nutzen auf Euro-Beträge hochrechnen, sondern indem wir beim Nutzen vier Stufen unterscheiden:
1. finanziellen Nutzen,
2. quantifizierbaren Nutzen,
3. messbaren Nutzen und
4. beobachtbaren Nutzen.
Die Reihenfolge ist nicht umsonst umgekehrt gewählt: Jeder Nutzen sollte so hoch wie möglich angesetzt werden, aber nicht höher als mit der folgenden Beschreibung erlaubt. Wir beginnen also mit der
- Stufe, dem beobachtbaren Nutzen: Hier wird kein Geldwert hinterlegt, sondern lediglich gefragt, ob der Nutzen eingetreten ist. Bestimmte Personen können z. B. im Nachhinein durch bestimmte Kriterien entscheiden, ob ein Nutzen tatsächlich eingetroffen ist. Das ist etwa ein übliches Vorgehen, wenn es um Mitarbeiterzufriedenheit geht. In der
- Stufe geht es dann um messbaren Nutzen: Hier messen wir den Nutzen tatsächlich VOR einer Maßnahme (z.B. die Kundenzufriedenheit) und können ihn dann mit dem Wert NACH der Veränderung vergleichen. Aber wir können nicht “vorhersehen”, wie er sich ändern wird, nur im Nachhinein feststellen, ob und wie das geschehen ist. Die
- Stufe ist dann der quantifizierbare Nutzen: Naturgemäß ist dieser Nutzen auch messbar, nur zusätzlich haben wir hier vor der Veränderung ein Modell, das uns erlaubt, eine Prognose abzugeben, etwa auf der Basis einer Studie oder eines Piloten. Beispielsweise bei der Durchlaufzeit eines Geschäftsprozesses: Wir kennen die Faktoren und wissen, wie sich das auf den gesamten Prozess auswirkt, wenn wir etwa bei einem Schritt im Prozess die Arbeitszeit verkürzen. Und in der
- Stufe kommen wir dann zum finanziellen Nutzen: Diese finanzielle Bewertung greift nur, wenn wir tatsächlich in der Lage sind, einen quantifizierbaren Nutzen mit einem Geldwert zu hinterlegen. Beispiel: Die Schritte im optimierten Geschäftsprozess werden durch Mitarbeiter durchgeführt, die x EUR pro Stunde kosten. Durch die Ersparnis bei einer Arbeitszeitverkürzung können diese Mitarbeiter andere Tätigkeiten übernehmen.
Keine Stufen überspringen
Es bringt nichts, einen Nutzen höher einzuordnen, als man es wirklich nach diesem Schema tun kann; das verfälscht nur das Endergebnis – etwa bei der Erhebung von Kundenzufriedenheit: Haben wir es mit messbarem oder quantifizierbarem Nutzen zu tun? Um das zu entscheiden, müssen wir uns ehrlich fragen, ob wir wirklich mithilfe eines Modells schon vorher zuverlässig einschätzen können, wie die Kundenzufriedenheit durch die Maßnahme erhöht werden wird. Wenn das nicht der Fall ist, muss der Nutzen auf Stufe 2 bleiben!
Wenn alle Investitionen im Business Case nach diesem Schema gerechnet werden, ist es einfach, sie auch miteinander zu vergleichen. Und das Management, das über eine Investition entscheidet, muss nicht “unerlaubt hochgerechnete” Werte wieder zurückrechnen, sondern alles kann auf der richtigen Ebene diskutiert werden.
Und noch ein bisschen Mathematik …
Um den Case abzurunden, müssen wir dann in den zwei verbliebenen Schritten noch ein wenig rechnen:
Im dritten Schritt werden dazu die Kosten explizit gemacht und die Risiken erfasst – das ist meist viel leichter zu handeln als der Nutzen. Mögliche Kostenkategorien in IT-Projekten sind etwa: Einkauf (Hardware), Software-Entwicklung, Infrastruktur, Veränderungen im Business und laufende Kosten. Und bei den Risiken sollten erfasst werden: technische Risiken (Haben wir die Skills?), finanzielle Risiken (Wie gut sind unsere Bewertungen?) und organisationale Risiken (Können wir mit der Änderung umgehen?).
Und im vierten und letzten Schritt können wir dann die klassische Investitionsrechnung anwenden und die „üblichen Verdächtigen“ bestimmen: Undiscounted Cash Flow, Net Present Value (NPV), Internal Rate of Return (IRR), Payback, Break-Even. Das ist Finanzmathematik – wichtig, aber nicht entscheidend. Deswegen habe ich in diesem Teil der Serie eine Lanze für die korrekte Nutzenbestimmung gebrochen.
Denn: Entscheidend ist die Analyse vorher, weil für den Business Case gilt: Garbage in, garbage out! Business-Analysten, die Erfahrung in vielen Branchen und Projekten vorweisen können und in modernen Methoden ausgebildet sind, können alle mit dem Business Case verbundenen Probleme lösen und so dazu beitragen, alle Chancen für das Projekt zu nutzen.
Ausblick Teil drei
Im dritten Teil der Serie wird es darum gehen, wie Business-Analysten die Konzeption für Projekte durchführen und wie dadurch der Nutzen der Projekte auch tatsächlich realisiert werden kann.
Buchtipp
Ingrid und Peter Gerstbach
BASISWISSEN BUSINESS-ANALYSE
Probleme lösen, Chancen nutzen
336 Seiten
19,99 Euro / ISBN 978-3-86881-574
Redline Verlag, 2014
Jedes Unternehmen hat Ziele, die es am Markt erreichen will. Dabei müssen Prozesse, Organisation und IT aufeinander abgestimmt sein, um den Weg zum Ziel zu unterstützen. Welche Unternehmensbedürfnisse lassen sich ableiten und welche konkreten Anforderungen entstehen daraus? Wie lässt sich die Unternehmensstrategie bis auf die Projektebene übertragen? Welche Lösung ist für den Unternehmensbedarf am besten geeignet? Genau diese Fragen zu beantworten, ist die Aufgabe des Business-Analysten. In dieser umfassenden Einführung erhält der Leser ein fundiertes und methodisches Rüstzeug, um die komplexen Jobanforderungen im Alltag zu meistern. Sie erfahren, was Business-Analyse genau ist und welche Tools dabei helfen, die Ziele des Unternehmens zu erreichen.
Über die Autoren
Peter Gerstbach ist Business-Analyst, Unternehmensberater, Trainer und Coach. Er berät mittelständische Unternehmen bei der Entwicklung und Konzeptionierung von IT-Projekten.
Ingrid Gerstbach ist Wirtschaftspsychologin und Unternehmensberaterin mit dem speziellen Fokus auf Design Thinking und Innovationsmanagement. Sie unterstützt mittelständische Unternehmen bei der Entwicklung von Veränderungen.