Business-Analyse (Teil 1): Den Nutzen komplexer IT-Investitionen bestimmen
In meiner Berufspraxis als Business-Analyst passieren manchmal wegweisende Dinge: In einer Mittagspause an einem Trainingstag setzte sich ein Teilnehmer, Einkaufsmanager bei einem großen Konzern, zu mir an den Tisch und suchte das Gespräch zum Thema Bewertung von IT-Projekten und -Investitionen aus Einkäufersicht.
Das ist tatsächlich ein komplexes, manchmal sogar heikles, Thema. Der Manager verbrachte die ganze Pause damit, mir nahezubringen, dass einer seiner größten Wünsche sei, man könnte IT-Projekte so einfach bewerten wie den Kauf von Bleistiften. Wunschdenken? Utopie? Sicher, aber für mich ein sehr nützlicher Input, weil ich hier einen dringenden Kundenbedarf auf einem silbernen Tablett serviert bekam.
Tricky business – Kosten und Nutzen von IT-Projekten
Warum ist diese Bewertung von IT-Projekten so schwierig und der Bedarf so unmittelbar? Das Problem ist, dass die Kosten nicht immer einfach zu ermitteln sind. Bei der Bewertung wird oft vergessen, dass begleitend zu jedem IT-Projekt vielschichtige Veränderungen in der Organisation und in Prozessen notwendig sind – die aber sind schwer zu erheben. Vielleicht müssen Mitarbeiter geschult oder ganze Abteilungen umstrukturiert werden – neue IT-Lösungen verschieben Arbeit, und das geht an einer Organisation nicht spurlos vorüber. Fatal ist dem entsprechend, wenn nur die reinen IT-Kosten, etwa Anschaffung und Programmierung, gerechnet werden.
Schwerer wiegt noch, dass auch der Nutzen für den Einkäufer nicht einfach abzuschätzen ist. Auf der Nutzenseite haben wir es nämlich mit einem komplexen Geflecht aus gegenseitigen Abhängigkeiten zu tun, was zur Folge hat, dass sich bestimmte Vorteile, vor allem im Geschäft selber und nicht nur direkt in der IT-Abteilung, nicht auf einen Blick zeigen.
Eine Befragung unserer Kunden ergab, dass die Entscheider tatsächlich rückblickend noch am ehesten mit der Erhebung der Kostenseite zufrieden sind und nicht mit dem identifizierten Nutzen – und schon gar nicht mit der Art und Weise, wie dann nachträglich überprüft wird, welche Kosten tatsächlich angefallen sind und welche Nutzen realisiert wurden.
Unwucht zugunsten der Kostenseite
Das ist logisch, denn das Resultat der Einschätzungs- und Darstellungsschwierigkeiten ist, dass sich Business Cases für IT-Systeme oft nur auf die Kostenseite beziehen und eine genauere Betrachtung des Nutzens sehr oberflächlich erfolgt. Damit bekommen die Einkäufer aber für eine umfassende Investitionsentscheidung nur sehr wenig, ZU wenig, Aussagekraft geliefert. Denn Tatsache ist: Ein neues IT-System bringt für sich alleine gar keinen Nutzen. Erst wenn damit Prozesse beschleunigt, Kosten reduziert oder neue Geschäftsfelder erschlossen werden, zeigt sich der Nutzen.
Transparenz schaffen mit dem Benefits Dependency Network
Eine Möglichkeit, die Abhängigkeiten, die dem Nutzen zugrunde liegen, in der Business-Analyse zu erarbeiten, ist die Erstellung eines Benefits Dependency Networks, das von John Ward und Elizabeth Daniel entwickelt wurde. Dieses Netzwerk bringt die Gründe für eine Investition mit konkretem Nutzen und möglichst messbaren Zielen in Verbindung. Daraus lässt sich dann ableiten, welche Änderungen im Business notwendig sind und welche IT-Lösungen dazu passen. Das Ergebnis ist eine komplette Beschreibung von Problem und Lösung, die wesentlich tiefer geht als eine reine IT-Kostenbetrachtung.
Ein Beispiel
Abbildung: Beispiel Benefits Dependency Network
In dem Unternehmen, um das es hier geht, gibt es ein Problem mit der Lagerhaltung. Es besteht Handlungsbedarf. Ganz rechts sehen wir die „Drivers“, die Treiber, die einen Änderungsprozess anstoßen. Es gibt interne und externe Treiber: Hier ist ein interner Treiber etwa „hohe Kosten bei der Lagerhaltung“ und ein externer Treiber, dass dadurch die Gesamtkosten zu hoch sind und durch effizientere Wettbewerber Preisdruck entsteht.
Heruntergebrochen in „Investment Objectives“, also Ziele, die das Unternehmen mit der Investition erreichen will, bedeutet das, den durch den Preisdruck verlorenen Marktanteil wieder zurückzugewinnen oder die Kosten im Warenlager transparenter zu machen. Ein recht leicht zu identifizierender Nutzen („Benefit“) einer neuen Software wäre dann, dass die Lagerhaltungsdaten schneller zur Verfügung stehen und man ggf. schnell reagieren kann, um den Bestand zu verringern.
Dann geht es um die Frage, was sich ändern muss, damit so ein Nutzen eintritt, etwa die Lagerhaltungsstrategie (unter „Business Changes“): Dazu muss ein Inventarsystem (unter „IT Enablers“) eingeführt werden – und um diese Änderungen ihren vollen Nutzen entfalten zu lassen, müssen die Mitarbeiter im neuen System geschult werden („Enabling Changes“).
Sie sehen, hier lassen sich die komplexen Abhängigkeiten übersichtlich darstellen – so gewinnen Sie einen Überblick darüber, was sich im gesamten Unternehmen ändern muss!
Ausblick Teil zwei
Im zweiten Teil der Serie wird es konkret um den zugehörigen Business Case gehen, also darum, wie sich Kosten und Nutzen zusammen bewerten lassen, um eine tragfähige und für das ganze Unternehmen fruchtbare Entscheidung zu treffen.
Buchtipp
Das hier beschriebene Vorgehen ist Teil einer Business-Analyse. Wenn Sie mehr wissen oder tiefer einsteigen möchten, können Sie das mithilfe unseres Buches tun:
Ingrid und Peter Gerstbach
BASISWISSEN BUSINESS-ANALYSE
Probleme lösen, Chancen nutzen
336 Seiten
19,99 Euro / ISBN 978-3-86881-574
Redline Verlag, 2014
Jedes Unternehmen hat Ziele, die es am Markt erreichen will. Dabei müssen Prozesse, Organisation und IT aufeinander abgestimmt sein, um den Weg zum Ziel zu unterstützen. Welche Unternehmensbedürfnisse lassen sich ableiten und welche konkreten Anforderungen entstehen daraus? Wie lässt sich die Unternehmensstrategie bis auf die Projektebene übertragen? Welche Lösung ist für den Unternehmensbedarf am besten geeignet? Genau diese Fragen zu beantworten, ist die Aufgabe des Business-Analysten. In dieser umfassenden Einführung erhält der Leser ein fundiertes und methodisches Rüstzeug, um die komplexen Jobanforderungen im Alltag zu meistern. Sie erfahren, was Business-Analyse genau ist und welche Tools dabei helfen, die Ziele des Unternehmens zu erreichen.
Über die Autoren
Peter Gerstbach ist Business-Analyst, Unternehmensberater, Trainer und Coach. Er berät mittelständische Unternehmen bei der Entwicklung und Konzeptionierung von IT-Projekten.
Ingrid Gerstbach ist Wirtschaftspsychologin und Unternehmensberaterin mit dem speziellen Fokus auf Design Thinking und Innovationsmanagement. Sie unterstützt mittelständische Unternehmen bei der Entwicklung von Veränderungen.