Anecdote Circle
Vielleicht kennen Sie aus Ihrem Umfeld Situationen, die lehrreich oder beispielhaft sein können oder die eine These zu bestätigen oder zu widerlegen scheinen. Aber es sind Einzelfälle – Anekdoten, Geschichten. Und als solche bleiben sie oft privat und geraten früher oder später in Vergessenheit. Doch diese Anekdoten und Erlebnisse sind auch persönliche Erfahrungen. Sie unterscheiden die Menschen in ihren Jobs von Algorithmen, die nur bestimmten Regeln folgen. Und sie enthalten oft Erkenntnisse, die es wert sind, weitergegeben oder zumindest diskutiert zu werden. Gerade im beruflichen Umfeld sind es solche Geschichten, die den Job persönlich machen und die das Wissen enthalten, das in keinem Handbuch steht und in keiner formalen Ausbildung vermittelt werden kann.
Diese Anekdoten können im Unternehmen vielfältig genutzt werden, beispielsweise zur Wissensweitergabe an andere Mitarbeiter, bei der Entscheidungsfindung, der Analyse von Unternehmensprozessen und -kulturen, aber auch im Konfliktmanagement. Solche Anekdoten sind aber auch die Basis für ein erfolgreiches Storytelling und können daher für das Marketing von großer Bedeutung sein.
Doch wie nutzt man die in Anekdoten vorhandenen Erkenntnisse für Unternehmen? Dies geschieht am besten im Rahmen von Anecdote Circles. Hierbei handelt es sich um Treffen, in deren Rahmen sich vier bis zwölf Teilnehmerinnen und Teilnehmer zusammenfinden, um die eigenen Anekdoten und Geschichten zu einem vorgegebenen Thema auszutauschen. Ein Moderator oder eine Moderatorin strukturiert das Treffen und sorgt dafür, dass die Gespräche nicht abgleiten. Er oder sie lädt zu dem Treffen mit einer klaren aber offenen Fragestellung ein und dokumentiert am Ende die Erkenntnisse, ist aber selbst neutral und nur moderierend aktiv. Die Treffen sollten in angenehmer Umgebung stattfinden und bis zu 90 Minuten dauern, nicht länger.
Ein Schlüssel für erfolgreiche Anecdote Circles: gute Vorbereitung: Neben der Wahl des richtigen, motivierenden Themas und geeigneten Teilnehmern, die eigene Erfahrungen beitragen können und wollen, ist es entscheidend, dass der Moderator mit Fragestellungen die Veranstaltung so lenkt, das eine Art „Lagerfeueratmosphäre“ entsteht, in der jeder bereit ist, seine Geschichten und Erfahrungen zu teilen.
Auch sollte der Teilnehmerkreis eine gute Diversität aufweisen, um unterschiedliche Erfahrungen abzudecken. Schließlich muss der Moderator die „Sprache“ der Teilnehmer sprechen und sie auf einer emotionalen Ebene motivieren.
Dies unterscheidet Anecdote Circles deutlich von üblichen Workshops und Meetings, in denen Argumente oft möglichst rational begründet werden müssen und in denen sich Teilnehmer zum Teil mit Buzzwords und pseudowissenschaftlichen Erkenntnissen zu übertrumpfen suchen.
Dabei reicht es nicht aus, die Teilnehmerinnen und Teilnehmer einfach darum zu bitten, ihre Erlebnisse und Geschichten zu einem Thema zu erzählen. Der Moderator sollte vielmehr einleitend nach konkreten Beispielen und Erfahrungen unter einem emotionalen Aspekt fragen und die Teilnehmer einladen, sich in die Situation hineinzuversetzen. Wichtig ist, dass alle ihre Erfahrungen dann untereinander austauschen und sich gegenseitig ergänzen, nicht dem Moderator ihre Erlebnisse schildern.
Um die Ergebnisse eines Anecdote Circle besser auswerten zu können, bietet es sich an, eine Aufzeichnung des Verlaufs anzufertigen, sei es per Audio oder Video. Das kann Teilnehmer zwar zunächst irritieren, aber sobald das Eis einmal gebrochen ist, achten sie nicht mehr auf die Aufnahmegeräte. Stattdessen einen Schriftführer zu bestimmen ist weniger effektiv, da dieser häufig nur Kernpunkte notieren kann, sich im Rahmen von Anecdote Circles häufig aber erst im Verlauf ergibt, dass bestimmte Nuancen und Untertöne das eigentlich Wichtige an einer Erzählung sind.