„Der Hebel liegt im strategischen Einkauf“
Einkauf und Digitalisierung – wo liegen die Herausforderungen aus Sicht der Experten von Horváth & Partners? Dipl.-Ing. Christian Daxböck, Partner, und Christoph Weber, M. Sc., Head of Organization & Operations Austria, im Gespräch mit Einkauf und Management.
Karina Matejcek, Einkauf und Management: Horváth & Partners hat sich in einer großen Studie den Erwartungen der Chief Financial Officers an den Einkauf gewidmet. Wie zufrieden sind die CFOs mit der Rolle und der Leistung des Einkaufs?
Christoph Weber: Wir haben 2018 eine Einkaufsstudie mit mehr als 200 Teilnehmern veröffentlicht, von kleineren Unternehmen bis 100 Millionen Euro Umsatz bis zu Unternehmen mit 10, 15 Milliarden Euro Umsatz. Dazu haben wir CFOs oder die Vorgesetzten der Einkaufsabteilungen, welche ja häufig CFOs sind, befragt, wie zufrieden sie mit dem Einkauf in unterschiedlichen Bereichen sind. Und das haben wir auch mit sehr vielen Einkäufern am österreichischen Markt, aber auch in Deutschland, gematcht und diskutiert. Anhand von zehn „Key Findings“ konnten wir die aktuellen Herausforderungen für Unternehmen wie für Einkaufsabteilungen systematisch darstellen und Ansatzpunkte für Verbesserungen und Veränderungen liefern. Es stellte sich heraus, dass an die 80 Prozent der CFOs mit der Leistung des Einkaufs im Allgemeinen zufrieden ist. Potenziale für Verbesserungen gibt es jedoch beim Einkaufsreporting. Ein großer Punkt ist das Thema „Wertbeitrag“. Wie bedeutend und wie hoch ist der Wertbeitrag des Einkaufs für die Ergebniswirksamkeit im Unternehmen, also für das EBIT? Das ist eine schwierige Thematik, denn wie misst man das? Im Rahmen unseres Procurement-Excellence-Ansatzes haben wir dafür die passenden Werkzeuge.
E&M: Ein Schwerpunkt der Umfrage war das Thema Digitalisierung. Was haben Sie hier herausarbeiten können?
CW: Ja, das Thema Digitalisierung war ein sehr, sehr wichtiger Punkt. Und zwar weniger die ProzessKOSTENoptimierung, sondern die Digitalisierung der Prozesse, die Automatisierung, wie Prozesse schneller laufen, dass mehr Daten entlang der Prozesse generiert werden und auf Basis der Daten dann auch Einsparungen realisiert werden.
Christian Daxböck: Was hier wichtig ist, und das kommt auch bei der Studie raus: Die Meisten schauen bei Digitalisierung nach wie vor eher auf operative Einkaufsprozesse. Der Hebel, vom Wert her, liegt aber – und das stellen wir bei einigen Projekten fest – natürlich in den strategischen Einkaufsprozessen. Hier stellt sich die Frage: Wo kann die Digitalisierung in den strategischen Einkaufsprozessen einen Mehrwert schaffen und welchen Effekt hat das? Hier nehmen wir dann auch wahr, wenn es sich jetzt nicht um einen globalen Player handelt, dann hat ein produzierendes Unternehmen seine Einkaufslandschaft in der Regel zu 80, 90 Prozent in einem Umkreis von 300 Kilometern. Das ist oft einfach so gewachsen. Doch mittlerweile gibt es Tools, die auch hier über spezielle Suchfunktionen ein globaleres Lieferantensourcing ermöglichen. Die Digitalisierung bringt hier im strategischen Einkauf einen absoluten Mehrwert, das ist ein wesentlicher Punkt. Bei unserer Studie kam heraus, dass viele CFOs wissen wollten: Welches Potenzial für Digitalisierung im Einkauf haben wir überhaupt? Der Großteil schaut dabei jedoch eher noch auf die operativen Einkaufsprozesse und nicht auf die Hebel im strategischen Bereich.
CW: Ein spannendes Detail dazu, Stichwort Prozesseffizienz: Man möchte weniger Arbeit in den Prozessen haben, aber dabei geht es weniger um Reduktion von Kosten und Personal, sondern es geht weitaus mehr darum, entlang der Prozesse effizienter zu werden, schneller zu werden, und darum, mehr Transparenz zu erhalten und zu gestalten. Das ist im Fokus und viele Unternehmen sind gerade dabei, das zu digitalisieren.
CD: Wobei man hier sieht, da trennt sich die Spreu vom Weizen. Wir hatten vor ein paar Wochen ein Gespräch mit einem österreichischen Mittelständler, der kennt Data-Mining- und Automatisierungs-Optimierungstools wie Celonis oder Signavio, mit denen man Prozessen und Prozessvarianten in Echtzeit und mit Ist-Daten sehr schön visuell auf die Spur kommen kann. Aber oft sind diese Tools eben nicht bekannt. Oder man kennt sie, aber die Umsetzung funktioniert nicht. Aber es gibt ein paar österreichische Unternehmen, die haben die Klaviatur gut drauf, die haben diese Tools und wissen, wo sie das eine, wo das andere einsetzen, haben oft sogar eigene Einheiten, die auch den Einkauf dabei unterstützen. Aber das ist derzeit noch eine Minderheit, das muss man auch klar sagen. Also die Großen kennen die Tools, setzen sie zum Teil gut ein, die Mittleren kennen sie zum Teil, die Kleinen kennen sie gar nicht.
CW: Dazu ein Beispiel aus meiner Erfahrung: Ich war kürzlich mit dem Einkaufsleiter eines großen österreichischen Unternehmens in Kontakt – unter den Top-10 umsatzbezogen. Und dort sind die Tools für Prozessautomatisierung, Prozesseffizienz und Transparenz eben nicht bekannt oder noch neu. Und hier ist es dann wichtig, darzustellen, was kann man alles im Rahmen der Digitalisierung nutzen und wie schafft man es dann mittelfristig auch, auf Basis dessen zu optimieren. Wobei man klar trennen muss: Kurz- und mittelfristig, das sind zwei unterschiedliche Themen. Meist gibt es eine Digitalisierungsstrategie für das gesamte Unternehmen und der Einkauf ist ein Teil davon – wo dann entsprechend eben Prozesse automatisiert werden sollen. Auf der anderen Seite möchte man aber nicht drei, vier, fünf Jahre auf die Digitalisierung der Prozesse warten, sondern man möchte sofort was tun. Und da gibt es dann zum Beispiel die Möglichkeit, über Robotics-Automatisierung relativ schnell mit einem bestehenden Software-System so umzugehen, dass man schneller wird und die Prozesse schneller durchschleusen kann.
E&M: Was bedeutet das konkret?
CW: Ein Teil unserer Umfrage bezog sich darauf, welche Prozesse es im Einkauf gibt, von operativ bis strategisch, und welche die CFOs in der Digitalisierung mit hohem Potenzial sehen. Das heißt, welche möchte man digitalisieren und was ist bereits in Umsetzung. So sehen die CFOs beispielsweise ein sehr hohes Potenzial bei Einkaufscontrolling und Einkaufsreporting, Bedarfsplanung, Source-to-Contract beim strategischen Einkauf, speziell Angebotseinholung, Purchase-to-Pay beim operativen Einkauf, speziell Bestellung, Rechnungsprüfung und -freigabe und Zahlung. Das sind die Bereiche, die für die CFOs von hoher Relevanz wären. Was wurde umgesetzt? Im strategischen Einkauf vor allem die Angebotseinholung, im operativen die Themen Rechnung und Zahlung. Und anhand dieser Diskrepanz sieht man ganz klar, welch enormes Potenzial hier zu heben ist.
E&M: Wissen die Unternehmen das? Oder anders gefragt: An welchem Punkt kommen Sie als Berater hier ins Spiel?
CD: Sehr oft werden wir als Berater für Digitalisierung – oder auch andere Themen – geholt und wenn man sich die Ausgangslage dann anschaut, dann fehlt oft die Basis, das erste, zweite, dritte Stockwerk, auf dem man den „Dachstuhl“ Digitalisierung dann aufsetzen soll. Stichwort Stammdatenpflege. Oder: Gibt es überhaupt eine Warengruppenstrategie? Wie sieht das Lieferantenmanagement aus? Und welche Digitalisierungseffekte erwartet man sich überhaupt? Tatsächlich wird der Berater oft für etwas geholt, wo eigentlich gar nicht der Schuh drückt. Auch holt uns ja selten der Einkaufsleiter selbst. Wir bekommen den Zugang meist über den CFO. Womit sich der Kreis dann wieder schließt: Es sollen Budgets im Einkauf optimiert werden und die Hebel liegen im strategischen Einkauf – und nicht in der Digitalisierung des operativen Bereichs, wo dann vielleicht ein, zwei Arbeitskräfte eingespart werden. Das ist nicht der Haupthebel.
E&M: Wie gehen Sie dann konkret vor?
CD: Wir kommen ganz klar von der Strategie und da kommt man über die gesamten Prozesse. Unsere Beratungsstrategie orientiert sich am Thema Reifegrad und Co-Sourcing, wir unterstützen beim Aufsetzen des Scouting- und Sourcing-Prozesses und – hier differenzieren wir uns massiv – wir orientieren unsere Arbeit stark am Thema Wertbeitrag und Wertbeitragsmessung.
CW: Uns ist wichtig, dass wir das Gesamtsystem coachen und verbessern – und dies nachhaltig. Und nicht nur Tools anbieten. Das heißt, wir bringen das richtige Tool zu der richtigen Organisation, zu der Problemstellung. Und diese kann sein, dass die Einkaufsstrategie nicht passt, dass das ganze Target-Operating-Model des Einkaufs, das heißt, die Organisation, zentral-dezentrale Organisation nicht zusammenpasst, das Regelwerk im Einkauf nicht mit der Digitalisierung, die man vorantreiben möchte. Und, was man sehr häufig sieht und was halt nicht der Fall sein sollte: dass man schlechte Prozesse digitalisiert. Da muss man dann eine Stufe davor ansetzen.
E&M: Das ist eine sehr komplexe Themenstellung. Wie verändern sich die Aufgaben des Einkaufs in diesem Kontext?
CW: Ja, das ist eine Vielzahl an Themen. Bei den Prozessen sind es die strategischen, die man stärker in den Fokus rücken muss. Ganz klar. Was den operativen Einkauf angeht, da greifen die Leute am meisten hinein, da sind die meisten Touchpoints, deswegen automatisiert man das. Das ist völlig legitim. Man darf nur auf die anderen Sachen nicht vergessen. Und wichtig ist natürlich dann, dass man die Mitarbeiter mitnimmt in der Digitalisierung. Das heißt auch, dass das Anforderungsprofil des Einkäufers sich ändern wird, denn die Aufgaben werden vielfältiger. Sei es das Thema Stammdaten, das man im Vorfeld vielleicht noch nicht so fokussiert, sei es das Thema Reporting, Transparenz, sei es die Betreuung eines Lieferantenportals, einer Lieferantenplattform, das sind alles unterschiedliche Aufgabengebiete.
CD: Spannend ist hier auf jeden Fall die Unterscheidung strategisch – operativ. Und natürlich stellt sich auch die Generationenfrage. Wie kann ich die Einkäufer unterschiedlicher Generationen für Digitalisierungstools begeistern? Was wir aber feststellen: Einkaufsabteilungen haben sich in den letzten 10, 15 Jahren stark professionalisiert, im Sinne Gesamtbetrachtung, Gesamtkostenbrille. Ein Einkäufer wird immer zahlenaffin sein, nicht zuletzt, weil er einen wesentlichen Kostenblock eines Unternehmens aktiv beeinflusst. Aber das Profil verändert sich, die Einkaufsabteilungen sind längst aufgebrochen – zu einem breiteren Ansatz. Natürlich, Einsparungen sind das Um und Auf beim Einkauf, aber dabei geht es eben auch um Effizienz an der richtigen Stelle.
CW: Ein wichtiger Punkt ist hier auch, dass der Einkauf gerade in entwicklungsfokussierteren Industrien eine immer stärkere Rolle in der Entwicklung spielt. Also in den Entwicklungsprozess immer stärker eingebunden wird oder eingebunden werden muss, um ein gewisses Target Costing zu halten. Und das sind natürlich ganz andere Voraussetzungen, die man da mitbringen muss, denn man ist dann viel näher dran an der Entwicklung, an der technischen Entwicklung, und das ändert schon sehr viel. Plus das Thema Digitalisierung, das ist natürlich etwas, das querbeet durch alle Berufsgruppen geht.
E&M: Vielen Dank für das Gespräch!
Die Studie
Für die Einkaufsstudie 2018 „What really matters to the CFO – Erwartungen des CFOs an den Einkauf“ wurden mehr als als 200 CFOs und Führungskräfte aus den Bereichen Finanzen und Controlling von Unternehmen der produzierende Industrie über Finanzdienstleistungen bis hin zum öffentlichen Sektor befragt. Die Studie beleuchtet die Zufriedenheit des CFOs mit der Leistung des Einkaufs aus unterschiedlichen Perspektiven und liefert eine Einschätzung, welche Voraussetzungen für die Digitalisierung des Einkaufs geschaffen werden müssen und welche Prozesse das größte Digitalisierungpotenzial aufweisen. Weiterhin wurde erhoben, welche Informationen ein modernes Einkaufsreporting aus Sicht des CFOs beinhalten sollte und in welchen Berichtszyklen diese idealerweise zur Verfügung gestellt werden. Den Abschluss der Studie stellt ein Blick auf das Risikomanagement im Einkauf dar – hierbei wurde evaluiert, welche Risikokategorien für ein effektives Risikomanagement der Lieferkette zu betrachten sind. Kontakt: Christoph Weber, cweber@horvath-partners.com.
Horváth & Partners – Management Consultants
Horváth & Partners ist eine international tätige, unabhängige Managementberatung. Das Unternehmen beschäftigt mehr als 1000 hochqualifizierte Mitarbeiter an Standorten in Deutschland, Österreich, der Schweiz, Ungarn, Rumänien, Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Die Mitgliedschaft im internationalen Beraternetzwerk „Cordence Worldwide“ unterstützt die Fähigkeit, Beratungsprojekte in wichtigen Wirtschaftsregionen mit höchster fachlicher Expertise und genauer Kenntnis der lokalen Gegebenheiten durchzuführen. Die Kernkompetenzen von Horváth & Partners sind Unternehmenssteuerung und Performanceoptimierung – für das Gesamtunternehmen wie für die Geschäfts- und Funktionsbereiche Strategie, Organisation, Vertrieb, Operations, Controlling, Finanzen und IT. Horváth & Partners steht für Projektergebnisse, die nachhaltigen Nutzen schaffen. Deshalb begleitet Horváth & Partners seine Kunden von der betriebswirtschaftlichen Konzeption bis zur Verankerung in Prozessen und Systemen. Website: www.horvath-partners.com