Cebit: Niedergang und Ende einer Institution
Ein Kommentar von Markus Stolpmann
Wer kennt sie nicht: Die Cebit, einst eine der weltweit größten Messen für Informationstechnik. 1986 gestartet als CeBIT– Centrum der Büro- und Informationstechnik. Später umbenannt in CEBIT– Centrum für Büroautomation, Informationstechnologie und Telekommunikation. Und jetzt vom Veranstalter, der Deutsche Messe AG, aufgrund mangelnder Aussteller- und Besucherzahlen eingestellt.
Die Cebit gehörte lange zum Standardprogramm für IT-Interessierte. Im März traf sich auf der Leitmesse in Hannover alles, was irgendwie mit Computern, Telekommunikation und Branchenlösungen zu tun hatte.
1995 stellte Bill Gates hier Windows 95 vor. 1999 präsentierte AOL eine Internet-Flatrate für Deutschland. 2000 wurde auf dem Messegelände in Hannover die Deutschland-Premiere von Windows 2000 gefeiert. 2001 Rekord mit 830.000 Besuchern und weit über 7000 Ausstellern.
Doch danach ging es bergab, 2002 spürte die Messe die Folgen der 9/11-Anschläge ein halbes Jahr zuvor deutlich, aber auch das Ausstellerprogramm zog in den Jahren danach nicht mehr so viele Besucher an. Computer, Software und Telekommunikationsgeräte waren alltäglich geworden.
Die Veranstalter versuchten, mit verschiedenen Maßnahmen an die alten Erfolge anzuknüpfen: Mal wurde die Messedauer (immerhin eine ganze Woche, was hohe Kosten für die Aussteller bedeutete) reduziert, mal wurden Games- und Entertainment-Angebote ausgesperrt und nur noch klassische Fachbesucher willkommen geheißen. 2018 fand die Messe erstmals nicht im März, sondern im Juni statt – mit „Event-Charakter“ und terminlich direkt nach der Konkurrenzmesse Computex in Taiwan. Das Konzept ging nicht auf und das Ende der Cebit war besiegelt.
Verschläft jetzt der deutschsprachige Raum die Digitalisierung endgültig? Oder sind Messen generell obsolet?
Blick über den Tellerrand: Massensterben
Doch der reine Blick auf die Entwicklung der Messe und die Kapriolen, die die Veranstalter versucht haben, um die Messe attraktiv zu halten, zeigt nur ein sehr unvollständiges Bild. Das ganze Umfeld hat sich verändert. In der Anfangszeit war der größte Konkurrent der Cebit die COMDEX (COMputer Dealer’s EXhibition) in Las Vegas. Es war die zweitgrößte Messe für Computer und Informationselektronik nach der Cebit. Sie fand seit 1979 regelmäßig im November statt – und wurde bereits 2003 zum letzten Mal veranstaltet. Auch die SYSTEMS war eine Informations- und Telekommunikations-Fachmesse und fand von 1969 bis 2008 in München statt, bevor sie wegen schlechter Besucher- und Ausstellerzahlen eingestellt wurde.
Das Sterben der IT-Messen hat also schon eine lange Tradition und die Cebit hat verblüffend lange überlebt. Vom Start der Cebit bis in die 2000er-Jahre, als ich noch regelmäßig auf der Cebit war, war der Computer gerade dabei, die Büros zu verändern, aktenkoffergroße „Handys“ veränderten die Unternehmenskommunikation und lösten das Autotelefon ab. IBM mietete ganze Hallen, um den Leuten zu zeigen, wie sie Unternehmensdaten in Datenbanken ablegen und wiederfinden könnten. Es war der Branchentreffpunkt zum Thema Computerisierung. Neue Laptops, Endlos-Nadel- und Farbdrucker, schnellere Rechner, CAD-Bildschirme und kleine und große Softwareneuerungen lösten noch Staunen aus. Am Abend versuchte man, die Eindrücke zu verarbeiten. Und man war einige Tage, wenn nicht sogar die ganze Woche auf der Messe – und hatte trotzdem nicht alles gesehen. Aber man konnte nach der Rückkehr auf jeden Fall Neues berichten.
Die Digitalisierung ist längst da, IT & Telekommunikation sind Alltag
Heute hat die Digitalisierung jede Branche erfasst. Es gibt keine Branche „Computerisierung“ mehr, sondern jede Branche hat ihre Computer, Anwendungen, Apps, xaaS – wer in den letzten Jahren über die Cebit lief, hatte erhebliche Schwierigkeiten, „Wow“-Elemente zu finden. Wenn es sie gab, dann kannte man sie schon vorher – aus dem Internet, von den Keynotes und Hausmessen der großen Anbieter, die ihre Veranstaltungen auch im Internet als Stream zur Verfügung stellen. Wer interessiert sich heute noch wirklich für das neueste Notebook von HP oder Samsung? Alle zwei Monate kommt ein neues Modell raus. Neue Prozessoren, Festplatten, Monitore und Drucker sind nett, aber nicht aufregend.
Aus meiner Sicht hat sich die Cebit überlebt, weil die Computerisierung so weit fortgeschritten ist, dass man nicht mehr eine separate Messe besucht, um Hardware- oder Softwareneuerungen zu sehen. Stattdessen sind diese Komponenten integraler Bestandteil aller Branchenlösungen und man findet daher auf der Hannover Messe Industrie mehr computer- und softwarebasierte Lösungen für die eigenen Bedürfnisse als auf der Cebit. Oder eben auf jedem anderen Branchentreffpunkt.
Die neue Konkurrenz
Die größte „Konkurrenz“ zur klassischen Cebit mit ihrem C-Fokus fand gerade Ende November statt. In Las Vegas. Ich war auch eingeladen. Nennt sich AWS Re:Invent. Und ist die größte Hausmesse von Amazon AWS. DAS ist einer der neuen Branchentreffpunkte für die IT-Experten, neben ähnlichen Veranstaltungen von Google, Microsoft, Apple, Oracle und Co. Aber die Re:invent zeigt auch ganz klar, warum sich diese Experten nicht mehr auf der Cebit treffen: Heute kauft man keine Bürocomputer, Drucker und Branchenlösungen (bzw. das ist Standard und läuft nebenher), sondern mietet on demand Serverleistungen und stöpselt verschiedene Services über APIs zusammen. Das aber kann man nicht mehr auf einem Messestand in 10 Minuten erklären und der Vertrieb läuft auch nicht so ab wie auf der Cebit („Lassen Sie Ihre Visitenkarte da und der Vertrieb kontaktiert Sie nach der Messe und schickt ein Angebot“), sondern braucht Vortragsprogramme, Workshops usw. Ja: Sowohl die Cebit als auch die COMDEX hatten schon früh ein Vortragsprogramm. Aber im Vergleich zur Re:Invent oder Apples WWDC blieben die Vorträge oft an der Oberfläche.
Und bei Veranstaltungen wie der Re:invent stören reine Verbraucher („Consumer“) nur, ebenso wie auf den ersten Blick sehr ähnliche Angebote anderer Wettbewerber. Denn da gibt es keine schlüsselfertigen Branchenlösungen, die sich auf die Schnelle verkaufen. Es ist eine Hausmesse – natürlich geht es um Umsatzförderung, es geht aber auch um Branding und Awareness. Und mehr noch: AWS hat alleine in den letzten drei Tagen 15 bis 20 neue Dienste vorgestellt. Sie haben weit über 200. Auf einem Messestand wäre so was gar nicht vermittelbar. Warum also sollten sich Cloud-Anbieter überhaupt an Fachmessen beteiligen? Viel erfolgreicher ist man mit Hausmessen und Roadshows, um die eigenen Angebote gezielt zu bewerben.
Das Problem der Refinanzierung
Und die anderen großen Player? Wer kommt Ihnen in den Sinn, wenn Sie über Ihren eigenen Alltag nachdenken? Facebook, WhatsApp, Googles Suchmaschine, Amazons Online-Shop? Nichts davon richtet sich primär an Unternehmen. Für die Nutzung müssen Anwender nicht zahlen. Und es gibt weder Hardware noch Software, die man werbewirksam auf einer Messe ausstellen kann. Services, Plattformen, APIs und Co. lassen sich hingegen nur „erleben“.
Und allen voran Apple, aber auch Samsung, Microsoft, Google und Co. fahren wesentlich besser damit, ihre eigenen Hausveranstaltungen durchzuführen, bei denen sie die Termine so legen können, dass die Werbewirkung maximiert und eine Konkurrenzsituation reduziert wird. Zumal die Presse gerne mitspielt und breit über die Neuvorstellungen berichtet. Und wer themen- und branchenaffin ist, informiert sich eh regelmäßig über Neuerungen im Internet und wartet nicht auf den nächsten Messetermin. Und welches Fachpublikum sollte durch eine Facebook-Halle angesprochen werden?
Die „erfolgreichsten“ Veranstaltungen im IT- und Startup-Umfeld sind damit auch keine C-Branchentreffs mehr, sondern mit der SXSW (South by Southwest, jeweils im März in Austin, Texas) ein Lifestyle-Event, diverse Marketing-Branchentreffs, Startup-Events usw. Hätte vielleicht die Cebit als Verbraucherbespaßungsmaschinerie überleben können? Dann aber müssten auch die Verbraucher die Umsätze (ggf. durch Eintrittsgelder) erbringen. Irgendwer muss die Kosten der Aussteller (Stand, Personal, Reise/Verpflegung) tragen. Die Verbraucher wollen jedoch gar kein Geld ausgeben. Facebook … gratis. WhatsApp … gratis. Google … gratis.
Die Cebit ist tot – die Digitalisierung lebt
Das Umfeld der Cebit hat sich dramatisch verändert. Das bedeutet nicht, dass die Unternehmen die Digitalisierung komplett verschlafen. Und es bedeutet auch nicht, dass Messen sich generell überholt haben. Vielmehr ist die Digitalisierung so weit fortgeschritten, dass es keine globale, übergreifende IT-Fachmesse mehr braucht. Die Lösungen sind integriert und finden sich auf jeder kleineren Branchenmesse, im Internet und auf Hausmessen. Das ist für Besucher wie Aussteller billiger und oft ist der Informationsgewinn durch den Besuch spezieller Events oder auch Webseiten sogar höher.
Schade ist es um die Forschungshalle, wo Uni-Institute ihre Projekte teils auf Tapeziertischen vorstellten. Aber auch für die gibt es längst Alternativen. Und langjährige Cebit-Besucher werden die Durchsagen zur Maßnahme A („Anfahrt“) und Maßnahme R („Rückfahrt“) vermissen, wenn der Messeschnellweg mal in die eine, mal in die andere Richtung zur Einbahnstraße erklärt wurde.