Agil um jeden Preis?
Auch wenn vielen Unternehmen die Dringlichkeit und Notwendigkeit bewusst ist, wissen doch die wenigsten, was es bedeutet, in letzter Konsequenz agil zu sein. Voller Elan springen sie auf den Schnellzug auf, in der Hoffnung, endlich flexibler, beweglicher, lebendiger zu werden. Schließlich fordert es der globale Markt ebenso wie die Businessprozesse und die digitale Transformation. Stimmt allerdings das Mindset nicht, bleibt dabei nicht nur der angestrebte Erfolg eines nachhaltigen Wachstums auf der Strecke, sondern vor allem die Menschen.
Ein Hype greift im Businesskontext derzeit immer mehr um sich: die agile Transformation als notwendiger Teil der digitalen Transformation. Auf die Frage, wohin sie sich entwickeln wollen, haben zwar die wenigsten Unternehmen eine Antwort. Trotzdem fragen sie sich, wie sie sich möglichst rasch die Schnelligkeit und Flexibilität aneignen können, die die digitale Transformation tagtäglich verlangt. Denn eines ist ihnen längst klar: Nur wer Projekte und Veränderungen mit einer hohen Geschwindigkeit stemmt, kann im digitalen Wandel bestehen.
Leistungsstark in einem dynamischen Umfeld
Im Bewusstsein, dass sie zukünftig nur weiter nachhaltig wachsen können, wenn sie zuverlässiger, schneller und innovativer als die Konkurrenz sind, führen viele Unternehmen agile Methoden ein. Möglichst rasch soll Agilität die Performance steigern. Dabei wird jedoch übersehen, dass sich agil nicht für alle Projekte eignet bzw. agile Methoden alleine manchmal nicht ausreichen. Häufig ist ein Mix aus agilen und klassischen Methoden notwendig, um das angestrebte Ziel zu erreichen. Einfach irgendwelche agilen Methoden einzuführen, ist keine Lösung. Mögen sie im Einzelfall auch noch so leistungsstark sein, ist es – um die Wirksamkeit zu garantieren – im Vorfeld entscheidend, sich intensiv mit dem jeweiligen Unternehmen auseinanderzusetzen: Welche Situation liegt vor? Welches Mindset soll erreicht werden? Welche Hürden sind zu bewältigen? Welche alten Zöpfe müssen abgeschnitten werden? Entsprechend den Antworten erfolgt dann im Idealfall die Auswahl der richtigen Methoden – ob agil und/oder klassisch.
Ein Blick in die Historie
Auch wenn die Unternehmenswelt derzeit von agil bestimmt wird, ist es nichts Neues. Bereits vor 15 Jahren gab es in der Softwareentwicklung mit „eXtreme Programming“ erste Experimente mit agilen Methoden. Fast zehn Jahre sind vergangen, seitdem die ersten agilen Großprojekte gestartet wurden. Seither hat sich der Hybrid aus CCPM und Agile sowie mit Reliable/Ultimate Scrum kontinuierlich weiter verbessert. 2013 folgten dann die erste hybride voll skalierbare Multiprojektmanagement-Implementierungen sowie im darauffolgenden Jahr die Optimierung des Einführungsprozesses auf Geschwindigkeit und Sicherheit mit QuiStain®. Das alles zeigt eines jedoch ganz deutlich: Genauso wie die agilen Methoden kontinuierlich einem Wandel unterliegen, muss sich auch der Umgang mit diesen agilen Methoden in den Unternehmen verändern. Nur wenn das Mindset – die Haltung im Unternehmen – passt, kann agil wirksam werden.
Agiles Mindset
Ein Mindset geht über Methoden hinaus und besteht aus vielen Aspekten. Wollen Unternehmen agil werden, müssen sie sich zunächst einmal fragen „Was will ich erreichen?“. Passt die Vision des maximalen Kundenutzens, indem man schnell genau das Richtige tut, wirklich zu mir und meinem Markt? Ein agiles Mindset spricht hier weniger für ein konservatives Bild. Vielmehr stehen agile Unternehmen für eine progressive Richtung, sind in vielerlei Hinsicht Veränderer und Vorreiter.
Weiter geht es mit den Werten – hier steht ganz klar der Mensch im Mittelpunkt.
Des Weiteren liegt der Fokus darauf, etwas Nützliches zu erzeugen und dabei vom Kunden zu lernen. Schließlich halten agile Unternehmen nicht an einem einmal gefassten Plan fest. Veränderungen werden begrüßt, sodass alles ständig im Fluss ist.
Als nächstes geht es um Fähigkeiten, beispielsweise fachlich top ausgebildete MitarbeiterInnen zu haben, die miteinander klar und konkret kommunizieren. Kooperation und Reflexion gehören ebenfalls dazu.
Wobei aber niemals vergessen werden darf, dass es letztendlich um eines geht: täglich in der Lage zu sein, sein Produkt zu bauen. Nur so kann schnelles Feedback von Kunden wirklich wirken.
Erst jetzt geht es um Methoden respektive Verhalten. Mit den Methoden soll sichergestellt werden, dass jeder weiß, was zu tun ist, sowie der Work-in-Progress begrenzt ist, um durch eine gemeinsame Planung und tägliche Kontrolle des Fortschritts schnelle Iterationen möglich zu machen. Das alles steht natürlich in einem gewissen Kontext, wie Produktentwicklung, Projekt oder Dienstleistung.
Sich Stolpersteine bewusstmachen
Agil zu sein, hat Konsequenzen – für das Unternehmen ebenso wie für alle MitarbeiterInnen. Dabei gibt es Hürden, die man kennen sollte, um nicht in guter Absicht einen Schaden zu verursachen. Vier Stolpersteine haben sich herauskristallisiert:
- AGIL ist ein Mindset
Das Mindset des Unternehmens muss dazu passen. Ist ein Unternehmen beispielsweise sehr auf Termine fixiert, passt das nicht zu agil. Probleme sind vorprogrammiert, wird dieser Aspekt nicht berücksichtigt. Eine Anpassung des Methodenmix – Kombination aus klassisch und agil – hilft.
- AGIL ist höchst leistungsfähig
Der Engpass des Unternehmens muss adressiert werden. Beispiel: In einem Unternehmen wird die Softwareentwicklung auf agil umgestellt. Diese ist dadurch sehr schnell, im Gegensatz zur Hardware und Elektronik, die noch nicht agil agieren. Wichtig ist es also, immer das große Ganze im Blick zu haben.
- AGIL erfordert schnelle Integration/Iterationen
Man muss sein Produkt oft (täglich) „bauen“ können. Regelmäßiges Feedback des Kunden ist notwendig. Der Prozess dafür muss automatisiert sein. Die MitarbeiterInnen müssen hinter der Methode stehen.
- AGIL fokussiert auf Effektivität/Fluss
Weder der Engpass noch eine andere Ressource im Unternehmen darf überlastet sein! Agil bedeutet, dass Ressourcen auf Arbeit warten. Nicht einmal der Engpass darf voll ausgelastet sein. Es gibt kein negatives Multitasking. Das muss man aushalten können.
Auf die Frage „Agil um jeden Preis?“ kann die Antwort nur „Nein“ lauten.
Ansonsten spricht alles für agile Methoden – sofern diese auf die jeweiligen Bedürfnisse zugeschnitten sind und dem angestrebten Ziel entsprechend mit klassischen Methoden kombiniert werden. Dann allerdings bringt die agile Transformation für alle Vorteile: Das Unternehmen kann nachhaltig wachsen, Umsatz und Gewinn steigern. Gang und gäbe sind Durchsatzsteigerungen von mehr als 50 % bis hin zu Faktor vier. Auch lässt sich oft Projektlaufzeit halbieren und damit einher geht die Erhöhung der Terminzuverlässigkeit auf fast 100 %.
Führungskräfte sowie Team- und Projektleiter profitieren nicht nur von einer höheren Qualität der Arbeit und Prozesse, sondern auch davon, dass Probleme leichter gelöst werden können und dadurch die Führung fokussiert wird. Fachkräfte schließlich können mit ihrem Team gemeinsam wachsen und den sinnvollen nächsten Schritt auf der Karriereleiter gehen. Eine erfolgreiche agile Transformation in jeder Hinsicht!
Der Autor
Wolfram Müller ist Director of Customer Success (Sales) bei der VISTEM GmbH & Co. KG. Neben der Gründung und Leitung des Geschäftsbereiches Speed4Projects ist er verantwortlich für die Integration agiler Projektmanagement-Methoden unter Nutzung von Critical Chain auf der systemischen und auf der Softwareseite. Als Dipl.-Ing. Mechatronik und Maschinenbau lernte er die Werkzeuge des klassischen Projektmanagements als Projektmanager in der Medizintechnik und in der IT kennen. Bereits seit 1987 brennt Wolfram Müller für „schnelle Projekte“ und vermittelt als Coach, Berater, Referent und Buchautor (Tame the Flow, The CIO’s Guide to Breakthrough Project Portfolio Performance) die neuesten Methoden des Critical Chain- und „High-Speed“-Projektmanagements. www.vistem.eu