Planen Sie gezielt, unproduktiv zu sein!
Jeder weiß, dass es wichtig ist, sich zu konzentrieren und fokussiert zu arbeiten, um eine anstehende Aufgabe effizient zu erledigen. Deshalb haben wir uns viele Hilfsmittel zugelegt, um diesen Fokus herzustellen und aufrecht zu erhalten: To-do-Listen, Kalender, Erinnerungen, „Do not disturb“-Einstellungen für Smartphone und Computer etc.
Trotzdem fällt es uns schwer, die Konzentration zu halten und über längere Zeit fokussiert zu bleiben. Und selbst wenn wir es schaffen, bleiben die Resultate mit zunehmender Dauer des Fokus-Zustands oft hinter den Erwartungen zurück. Es scheint, wir können uns gar nicht effektiv über längere Zeit auf etwas konzentrieren!
Aber vielleicht müssen wir es nur stärker versuchen? Vielleicht scheitern wir an unserer Willensstärke?
Neurowissenschaftler sind anderer Ansicht.
Untersuchungen zeigen, dass es dem Gehirn auf Dauer immer schwerer fällt, den Fokus aufrecht zu erhalten – egal, wie sehr wir uns bemühen. Schuld sind unsere Instinkte und die Arbeitsweise unseres Gehirns.
Als wir noch als Jäger und Sammler unterwegs waren, lauerten stets Gefahren. Natürlich war es auch damals schon überlebensnotwendig, sich zeitweilig auf etwas (wie beispielsweise eine Jagdsituation oder einen Kampf) fokussieren und für diese Zeit das Umfeld weitgehend ausblenden zu können: der berühmte Tunnel, in dem alle Sinne auf eine Aufgabe gerichtet sind. Aber eben nur für kurze Phasen. Danach war es wichtig, sich wieder zu öffnen für die Umwelt, um nicht andere Gefahren zu übersehen. Intuitiv versucht unser Gehirn uns daher zu schützen und am Leben zu halten: Das Resultat: Mit zunehmender Dauer fällt es uns immer schwerer fällt, die Konzentration auf eine einzelne Sache aufrecht zu erhalten.
Zum anderen zeigen Untersuchungen, dass unser Gehirn alles andere als untätig ist, wenn wir „nichts tun“. Im Gegenteil: In diesen scheinbar unproduktiven Phasen braucht das Gehirn verblüffend viel Energie. Wobei: Verblüffend nur so lange, bis man versteht, was in diesen Phasen passiert. Es findet nämlich quasi ein Aufräumprozess statt. Unser Gehirn braucht diese unfokussierten Zeiträume, um sich wieder zu ordnen, zu restrukturieren und um zu entrümpeln.
Je länger wir uns „in den Tunnel“ versetzen, umso mehr Zeit brauchen wir danach, um abzuschalten und wieder in den Alltag einzuordnen. Dazu trägt auch bei, dass in den Fokusphasen unsere Sinnesorgane weiterhin aktiv sind und wir unsere Denkprozesse nicht vollständig kontrollieren können. Es baut sich daher ein Berg von Eindrücken und Impulsen auf, die irgendwann verarbeitet werden müssen. Je größer der Berg wird, desto schwerer fällt es uns, den Fokus zu halten.
Das bedeutet, dass wir beide Phasen brauchen, wenn wir produktiv sein wollen. Die scheinbar unproduktiven Phasen sind entscheidend und lassen sich nicht wirklich vermeiden oder austricksen.
Diese Erkenntnisse können wir nun gezielt für uns nutzen: Es ist wichtig, Fokusphasen und Phasen der scheinbaren Abgelenktheit und Unkonzentriertheit gezielt abzuwechseln – und letztere nicht als Produktivitätshemmnis zu sehen, sondern als essentiell, um anschließend umso konzentrierter wieder ans Werk gehen zu können. Oder anders ausgedrückt: Machen Sie regelmäßig Pausen und wechseln Sie hochkonzentrierte Tätigkeiten mit Routineaufgaben ab, die Ihr Gehirn wieder zur Ruhe kommen lassen.
Aber Sie können noch mehr tun: Da sowohl Fokus- als auch Entspannungsphasen wichtig für unsere Produktivität sind, sollten Sie beide Phasen gezielt herstellen und unterstützen.
Klar: Jeder weiß, dass er die Tür schließen und das Telefon lautlos stellen sollte, um konzentriert arbeiten zu können. Aber Sie sollten zudem von Beginn an Pausen – oder genauer: Wechsel in Phasen der Unfokussiertheit – einplanen und sie genauso unterstützen und gezielt herstellen wie Sie es für die Phasen hoher Konzentration tun. Manchmal kann dazu ein Ortswechsel helfen, manchmal ein kreative und entspannende Umgebung, vielleicht Musik, Gespräche oder sportliche Aktivität. Teilweise berücksichtigen Unternehmen diese Erkenntnisse bereits bei der Gestaltung der Arbeitsräume und bieten nicht nur Räumlichkeiten für konzentriertes Arbeiten, sondern auch Inseln für Entspannungsphasen und Kommunikation.
Je mehr Sie sich darauf einlassen, dass scheinbar unproduktive Phasen notwendig sind, um im Wechsel mit sehr konzentriertem Arbeiten die höchste Produktivität zu erbringen, desto gezielter können Sie diese beiden Phasen für sich einsetzen, die sich wie die beiden Seiten einer Medaille ergänzen und bedingen.