Zukunft der Chemiebranche liegt in der Kreislaufwirtschaft
Der Abschwung am M&A-Markt setzt sich fort, stattdessen könnten Finanzinvestoren die großen Gewinner der Covid-Krise werden. Laut dem „Chemicals Executive M&A Report 2020“ der globalen Managementberatung Kearney wird zirkuläres Wirtschaften die Zukunft der Chemiebranche bestimmen. Auch die OMV stellt mit dem Zukauf von Borealis ihre Weichen in Richtung Nachhaltigkeit.
„2019 und 2020 waren zwei sehr ungewöhnliche Jahre für die Chemiebranche“, erklärt Thomas Rings, Partner bei der globalen Managementberatung Kearney. „Nach dem Absturz des Transaktionsvolumens 2018 scheint dieses sich 2019 auf den ersten Blick leicht erholt zu haben. Allerdings zeigt sich bei genauerer Betrachtung eine weitere Abkühlung, die voraussichtlich bis 2021 andauern wird. Über die Auswirkungen der Pandemie hinaus fehlt es an attraktiven, großen Übernahmeobjekten, der Markt ist leergefegt und die Firmen setzen mehr auf Konsolidierung mit kleineren Transaktionen statt auf Größe. Ein Trend, der auf lange Sicht vieles in der Chemiebranche ändern wird und sich in Europa als zentrales Deal-Motiv abzeichnet, ist zirkuläres Wirtschaften“, so Rings.
Marktverzerrung durch Mega-Deal
In der großangelegten Studie „Chemicals Executive M&A Report 2020“ analysiert die globale Unternehmensberatung Kearney alljährlich die M&A-Entwicklung in der Chemiebranche. Der Report gibt einen Rückblick und einen Ausblick auf Transaktionen in der Chemieindustrie. Er stützt sich auf Untersuchungen abgeschlossener und angekündigter Deals sowie auf eine Umfrage von globalen Führungskräften aus Industrie, Investment Banking und Private-Equity-Häusern. Obwohl das Deal-Volumen 2019 auf den ersten Blick gegenüber dem Niveau von 2018 leicht gewachsen ist, kann man nicht vom einem Aufwärtstrend sprechen: 2019 lag der Wert bei 318 Mrd. US-Dollar, doch allein 124 Mrd. Dollar gehen auf das Konto der Mega-Deals von Saudi-Aramco-SABIC und dem Dow-Dupont-Spin-off. Rechnet man diese beiden Deals heraus, liegt man nur noch bei 194 Mrd. US-Dollar und damit weit unter dem Vorjahres-Wert von 294 Mrd. US-Dollar.
Das Volumen 2020 wird voraussichtlich erheblich durch die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie beeinflusst sein: Hochgerechnet auf das ganze Jahr, ist ein deutlicher Abschwung zu erwarten. Die durchschnittliche Transaktionsgröße ist im ersten Halbjahr 2020 im Vergleich zum Vorjahr erneut um circa ein Drittel geschrumpft und liegt nur noch bei 118 Millionen US-Dollar. Rings und die Co-Autoren der Studie machen nicht allein die Pandemie für die Abkühlung des M&A-Marktes verantwortlich. Es stehen nur noch wenige große Übernahmeziele zur Verfügung, so dass vor allem kleine Deals das M&A-Geschehen bestimmen. Und auch in Zukunft zeichnen sich eher keine großen Transaktionen ab. „Zusammen mit der Pandemie sehen wir einen doppelt negativen Effekt“ sagt Thomas Rings: „Kleinere Volumina bei allgemein sehr abgeschwächter Dynamik im Markt.“
Zukauf von Borealis macht OMV fit für die Zukunft
Im österreichischen Transaktionsmarkt wurden bereits Anfang 2020 die Weichen auf Zukauf gestellt. Der Öl- und Gaskonzern OMV folgt mit dem Zukauf weiterer Anteile (insgesamt 75% seit Oktober 2020) am Petrochemie- und Polyolefin-Unternehmen Borealis dem generellen Trend in Richtung Downstream Diversifikation. Durch den Zukauf erhält die OMV einen sicheren Abnehmer für die Weiterverarbeitung ihrer Raffinerieprodukte. Der Unternehmensschwerpunkt verlagert sich somit vom Verbrennen hin zum Veredeln von Ressourcen.
Mit Borealis erhält die OMV auch einen stärkeren Footprint im Bereich der Kreislaufwirtschaft – Borealis hatte bereits 2018 mit Investitionen in Recyclingunternehmen begonnen (Ecoplast Kunststoffrecycling) und 2019 weitere große Investitionen in den Standortausbau in Österreich getätigt.
Finanzinvestoren wittern Chancen
Die Führungskräfte zeigen sich dieses Jahr aber hinsichtlich der Entwicklung des M&A-Marktes in der Chemieindustrie pessimistisch: Waren es 2019 weltweit noch 20 Prozent der Befragten, die mit einem Abschwung rechneten, sind es dieses Jahr bereits 25 Prozent. In China und Indien hat sich die Zahl von neun Prozent bzw. 10 Prozent auf 31 bzw. 33 Prozent sogar verdreifacht. Während Führungskräfte in der Chemiebranche die M&A-Aussichten in allen Regionen kurzfristig sehr pessimistisch einschätzen, erwarten aber doch 96 Prozent eine recht schnelle Erholung innerhalb der nächsten zwei Jahre.
In Deutschland und dem deutschsprachigen Raum bahnen sich bereits im ersten Quartal 2021 weitere Deals im Bereich der Spezial- und Feinchemie an. „Der Trend geht eindeutig zu fokussierten Spezialchemie-Unternehmen“, erläutert Evelyn Hartinger, Principal bei Kearney und Co-Autorin des Reports: Der Druck auf Chemieunternehmen mit einem breit gefächerten oder integrierten Portfolio sei aufgrund der wachsenden Bewertungslücke gegenüber fokussierten Spezialchemie-Unternehmen weiter gestiegen. Diese Unternehmen könnten sogar Aktivisten oder Finanzinvestoren zum Opfer fallen, die eine Wertschöpfung durch Aufspaltung anstreben.
Insgesamt böten sich Private-Equity-Fonds sehr gute Möglichkeiten, auch transformative Big-Deals zu attraktiven Preisen zu verfolgen. Verlierer könnten nationale Ölunternehmen sein, die günstige Gelegenheiten für eine weitere Entwicklung ihres Downstream-Geschäfts verpassen könnten.
Zukunft der Chemiebranche liegt in der Kreislaufwirtschaft
Covid-19 hat die Risikobereitschaft von Akquisiteuren stark beeinflusst: Käufer konzentrieren sich auf das Wesentliche: ihren Heimatmarkt, die Absicherung von Lieferketten und den Ausgleich von schwankender Nachfrage in unterschiedlichen regionalen Märkten. Hartinger sieht vor allem in der Kreislaufwirtschaft ein Thema, das den Markt in Zukunft prägen wird. Allerdings beschränkt sich der Fokus der Chemieakquisiteure derzeit noch auf Aktivitäten, die nahe an ihrem Kerngeschäft liegen.
Bei Partnerschaften stehen die Bereiche Energieeffizienz und Recycling von Endprodukten zur Rückführung in den Wertstoffkreislauf im Vordergrund. „Die Auswirkungen der Kreislaufwirtschaft auf M&A-Aktivitäten im Chemiebereich sind je nach Region von unterschiedlicher Dynamik gekennzeichnet“, sagt Hartinger. „Europa ist eindeutig führend – allen voran deutsche Chemieunternehmen zeigen Interesse, an der Kreislaufwirtschaft zu partizipieren, während Nordamerika, Asien und der Nahe Osten erst damit beginnen, das Thema nachhaltiges Wirtschaften auf ihre M&A-Agenda zu setzen. Wer den Worten Taten folgen lässt, ist jedoch noch offen. Klar ist jedoch schon heute, dass die Chemiebranche an dem Thema zirkuläres Wirtschaften nicht vorbeikommt.“
(Quelle: Kearney; Abbildung: Shutterstock)