KI – Kooperative Intelligenz als zentraler Treiber
Ein Gastbeitrag von Ulrike Stahl
Anmerkung: Der Beitrag wurde vor den Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie verfasst und wir publizieren ihn unverändert, denn er ist hochaktuell: Die Autorin geht auf einige Aspekte ein, die in diesen Tagen sehr wichtig sind, und die überaus wichtig sein werden, wenn die Systeme wieder hochgefahren werden.
Den Begriff KI verbinden die meisten Menschen mit künstlicher Intelligenz, das heißt mit der Automatisierung intelligenten Verhaltens und dem maschinellen Lernen. In unseren agilen und digitalen Zeiten verspricht die Mensch-Maschine-Zusammenarbeit tatsächlich Arbeitserleichterung. Aber wie sieht es bei kreativen Prozessen aus? Braucht es nicht gerade da die Mensch-Mensch-Zusammenarbeit? Braucht es hier neben der künstlichen Intelligenz nicht vor allem eine kooperative Intelligenz? Und was verbirgt sich hinter dieser nur scheinbar neuen – weil immer schon vorhandenen – Form der Intelligenz?
Computer scheinen uns, was das Thema Kooperation angeht, einen großen Schritt voraus zu sein. Sie arbeiten ohne Vorbehalte zusammen. Der Maschine ist es egal, ob die Daten von einem Windows, Linux oder Mac-System kommen. Sie halten Informationen weder zurück noch formulieren sie diese um, um sich einen Vorteil zu verschaffen. Die Folge: Maschinen werden rasend schnell gemeinsam intelligenter.
In die Wiege gelegt
Dabei ist Zusammenarbeit und Kooperation gerade uns Menschen in die Wiege gelegt. In Gruppen, den früheren Clans und Tribes, spüren wir eine innere Verpflichtung, dem Miteinander gerecht zu werden. Wir investieren Zeit und Energie, den anderen kennenzulernen und zu verstehen, weil wir ihm dann besser vertrauen können. Wir strengen uns an, Konflikte zu bewältigen. Wir spüren den moralischen Druck, unsere eigenen Interessen hinter das Gruppeninteresse zurückzustellen. Der Grund ist, dass wir gemeinsam weiterkommen als alleine. Dafür haben wir Menschen eine außerordentliche Ausstattung mitbekommen.
Das soziale Gehirn
Das menschliche ist ein soziales Gehirn. Wir haben spezielle Gehirnzellen, mit denen wir das Verhalten unseres Gegenübers vorausahnen und uns so auf ihn einstellen können – die sogenannten Spiegelneuronen. Unser Gehirn belohnt uns mit Dopamin, wenn wir gelingende soziale Interaktionen erleben. Und was oft übersehen wird: Wir haben keine angeborene Sperre, was die Kooperation mit Fremden angeht. Besorgte Eltern wissen davon ein Lied zu singen. Dies sieht bei den Schimpansen, unseren nächsten Verwandten im Tierreich, schon ganz anders aus. Zwei fremde Horden in einem Raum können nicht anders als miteinander zu kämpfen. Wir Menschen können uns mit Menschen arrangieren, zu denen wir noch keine soziale Bindung haben. Zum Glück!
Gemeinsam schneller zu besseren Ergebnissen kommen
Die heutige globale und agile Arbeitswelt konfrontiert uns schnell wechselnd mit Menschen unterschiedlicher Kulturen, Disziplinen und Interessen, mit denen wir gemeinsam zu Ergebnissen kommen müssen. Deshalb geht es jetzt darum, unsere natürliche Kooperationsfähigkeit auf ein neues Level zu heben. Von der kleinen Gruppe, dem überschaubaren Team in ein neues größer gedachtes Wir.
Denn wir brauchen mehr kooperative und kollaborative Intelligenz denn je. Sie zeigt sich, wenn Individuen intelligent zusammenarbeiten. Also dann, wenn sie in kurzer Zeit etwas schaffen, was ihnen alleine nicht gelingen würde.
Richtig ist: In Zeiten der Digitalisierung rückt die Mensch-Maschinen-Zusammenarbeit in den Fokus. Zeitaufwändige Routinearbeiten – häufig einsame Aufgaben – werden uns von Maschinen abgenommen und oft sogar in besserer Qualität erledigt. Künstliche Intelligenz ist der entscheidende Faktor der technischen Weiterentwicklung. Doch sie hat ihre Grenzen.
Wichtig ist: Für die verbleibenden Aufgaben, wie die Entscheidung, woran die Maschinen überhaupt arbeiten, die Interpretation der Ergebnisse sowie die Entwicklung neuer Ideen ist die Mensch-Mensch-Zusammenarbeit wertvoller denn je.
Zum einen, weil es dazu verschiedener Perspektiven bedarf.
Und zum anderen, weil Maschinen etwas Wesentliches fehlt, nämlich Intentionalität, sprich die Fähigkeit, sein Tun bewusst auf ein Ziel auszurichten. Also der eigene Antrieb zu lernen, sich weiterzuentwickeln und Probleme zu lösen, woraus Fantasie und Kreativität – oder noch besser Ko-Kreativität – entstehen.
Warum das bei Menschen anders ist, erklärt der Neurobiologe Gerald Hüther so: Das menschliche Gehirn stellt uns mehr Potenzial zur Verfügung, als wir umsetzen können. Daraus entstehen Bedürfnisse und daraus wiederum Absichten. Je herausfordernder die Aufgabe, desto wichtiger ist die Mensch-Mensch-Zusammenarbeit, weil wir bei positiver sozialer Interaktion besonders lernfähig und kreativ sind.
Kooperative Intelligenz als zentraler Treiber
Was bliebe von uns übrig, wenn wir all das abziehen, was wir von und durch andere gelernt haben? Was bliebe von all dem übrig, was wir haben, wenn wir das abziehen, bei dem andere mitgewirkt haben? Nicht viel!
Kooperation ist der zentrale Treiber menschlicher Entwicklung ebenso wie wirtschaftlichen Fortschritts. Stellen wir uns ein Unternehmen vor, in dem nur Konkurrenz herrscht und keine Kooperation. Das wäre nicht überlebensfähig.
Stellen wir uns ein Unternehmen vor, in dem nur Kooperation herrscht und keine Konkurrenz. Ist es nicht genau das, was moderne Organisationsformen anstreben? Das Aufbrechen von Silos, cross-funktionale Zusammenarbeit, Think Tanks, Beweglichkeit, Kollaboration und Ko-Kreativität.
Und warum? Weil es das ist, was momentan am besten zu den Anforderungen der Umwelt passt.
Kooperative Intelligenz zeigt und multipliziert sich …
… in der Menschlichkeit: Beziehung herstellen, Emotionalität
Menschen sind soziale und vor allem emotionale Wesen. Wir lesen die anderen um uns herum, deuten deren Signale. Jeder Sportler, jeder Musiker kennt die Wirkung jubelnder Fans. Es ist deutlich leichter, mit Ansporn über sich hinauszuwachsen, als wenn wir mit Abwertung und Desinteresse konfrontiert sind.
Unser Gehirn funktioniert in einem positiven sozialen Klima deutlich besser. Ermutigende und unterstützende Signale helfen uns dabei, unser ganzes Potenzial freizusetzen. Wir schaukeln uns gegenseitig hoch. So entsteht Ko-Kreativität. Unsere kollaborative Intelligenz steigt, wenn wir genau das einsetzen, was Maschinen nicht haben. Unser Herz.
… im Faktor Zeit: Austausch suchen, Flexibilität
Das Homeoffice steht hoch im Kurs. Nicht nur weil es Flexibilität bringt, sondern auch um ungestört arbeiten zu können. „Wenn ich könnte, würde ich gar nicht mehr ins Büro gehen.“ Das sagen immer mehr Heimarbeiter. Genau das kann allerdings zum echten Erfolgsverhinderer werden, weil wir uns zu wenig austauschen. Natürlich geht das auch virtuell, aber die persönliche Begegnung aus der Bindung und Nähe entstehen, also der menschliche Funke, den kann das nicht ersetzen. Nutzen wir also – und sei es nur ab und zu – die Bürozeiten, um mit anderen wirklich in Kontakt zu gehen.
… im gemeinsamen Lernen: Kommunikation zulassen, Qualität
Der größte Teil des Lernens findet nicht in Seminaren statt, sondern am Arbeitsplatz. Andere zu fragen oder über eigene Lernerfahrungen zu sprechen, steht in deutschen Büros nicht hoch im Kurs. Doch gerade das fördert den gemeinsamen Lernprozess. Denken und arbeiten wir also „laut“. Tauschen wir uns mit Kollegen aus. Erzählen wir von Erlebnissen, Ergebnissen und – ja, besonders auch – von persönlichen Herausforderungen. Indem wir uns aktiv gegenseitig befruchten überwinden wir Probleme und Hindernisse leichter und lernen schneller.
Kooperation wird oft mit Meinungslosigkeit „Ich sage Ja, um des lieben Friedens Willens“ und Leidenschaftslosigkeit verwechselt. Kooperative Intelligenz bedeutet aber gerade nicht, einer vorgegebenen Meinung bedingungslos zu folgen und sich dieser zu unterwerfen.
Echte Kooperation braucht starke Ichs, die eine eigene Meinung haben und bereit sind, diese zu teilen, auch wenn sie kontrovers ist. Es braucht Vielfalt, Auseinandersetzung und Querdenker. Was diese starken Ichs besonders auszeichnet ist Menschenfreundlichkeit und der Wille zu einer Lösung zu kommen, von der möglichst viele profitieren.
Viel Spaß beim Entdecken der kooperativen Intelligenz!
Weitere konkrete Tipps für konkurrenzlos erfolgreiche Zusammenarbeit gibt es in den WIRtschaftswelten von Ulrike Stahl.
Über Ulrike Stahl
Ulrike Stahl ist eine mitreißende Vortragsrednerin, Autorin und Expertin für Kooperation und das neue WIR im Business. Wie geht konkurrenzlos erfolgreiche Zusammenarbeit? Wie entwickeln wir eine WIR-Kultur für uns selbst, in unseren Unternehmen und Verbänden? Darauf gibt sie Antworten, die wirken. Sie ist Autorin des Buches „So geht WIRTSCHAFT! Kooperativ. Kollaborativ. Kokreativ.“ – laut Handelsblatt eines der besten Wirtschaftsbücher.
Lesetipp
Ulrike Stahl
So geht WIRTSCHAFT!
Kooperativ. Kollaborativ. Kokreativ.
168 Seiten, € 29,95
ISBN 978-3-96186-001-2
Metropolitan Verlag 2017
(Bild von Gerd Altmann auf Pixabay)