*Expertenkommentar*: Von Corona und anderen Krisen
Von Mag. Alexander Steinhart, Supply Chain Partners, Wien
Fast jedes Unternehmen, das wir kennen, befindet sich derzeit in einer außergewöhnlichen Stresssituation. Sowohl Führungskräfte als auch Mitarbeiter sind – ob des ungewissen Ausgangs – gleichermaßen verunsichert. Private Ängste der Ansteckung werden durch berufliche Ängste eines möglichen Jobverlusts verstärkt. Krisenstäbe werden gebildet, Krisenpläne – oft jetzt erst – entwickelt. Für Entscheidungssicherheit fehlen oft Informationen oder eine gewisse Guidance, die einen leitet.
Im Fokus: Stabilisierung von Prozessen
Der Fokus liegt daher neben Kommunikation zu allen Stakeholdern wie Kunden, Kapitalgebern, Lieferanten und selbstverständlich Mitarbeitern auf der Stabilisierung von Prozessen.
Unter der Prämisse, dass Waren und Dienstleistungen überhaupt noch Absatz finden, liegt das Hauptaugenmerk auf dem Fullfillment-Prozess des Unternehmens. Denn wenn wo keine Produktion, da keine Ware, dort kein Umsatz.
Neben der Einbindung sämtlicher Corona-relevanten Maßnahmen in der Produktion, wie Entkoppelung des Schichtbetriebs, Sonderreinigungen, Hygienemaßnahmen etc., gilt es vor allem, die Versorgung der Supply Chain sicherzustellen. Die Produktion muss unter allen Umständen am Leben erhalten werden. Gerade in solchen Situationen treten leider die Altlasten der Vergangenheit stärker zu Tage: instabile Prozesse, wenig Transparenz über die Wertschöpfungskette, kaum freigeprüfte Alternativlieferanten und so weiter.
Troubleshooting-Modus
Nun gilt es allerdings, in der Krisensituation das Beste aus der aktuellen Lage zu machen und in einen Troubleshooting-Modus zu kommen, um zu retten, was zu retten ist.
Hierin sind viele Unternehmen besonders stark, da auch im Alltag zumeist das Dringende das Wichtige verdrängt. Man könnte sogar meinen, es ist in die DNA von Unternehmen übergegangen und wird zu einer Art Sinngebung oder einem vermeintlichen USP. Frei nach dem Motto: „Wir haben noch alles hinbekommen!“
Diese durchaus positive Einstellung ist vor allem in der derzeitigen Situation ein guter Anker. In Phasen der Nicht-Krise blockiert sie aber leider allzu oft taktisches und strategisches Arbeiten, wodurch die tatsächliche Weiterentwicklung von Organisation zu kurz gerät.
Schon jetzt an die Zeit nach der Krise denken
Was bedeutet dies nun für eine Welt nach der Krise? Wenn sich die Situation wieder „normalisiert“ und wir aus der Kurzarbeit in den Hochlaufmodus zurückgekehrt sind, was können und sollten wir dann tun?
Es gilt, den Wert von taktischer und strategischer Arbeit zu erkennen und diesem entsprechende Ressourcen und Mittel zur Verfügung zu stellen.
In strategischer Arbeit widmet man sich der Stabilisierung und digitalen Unterstützung von Prozessen, der Minimierung von Kosten oder Risiken, der Flexibilisierung von Systemen oder der Entwicklung von Szenarien und der Ableitung eines entsprechenden Maßnahmenplans.
Die strategische Roadmap
Für den Fullfillment-Prozess und die Supply Chain bedeutet dies konkret die Erarbeitung einer strategischen Roadmap mit Zielen, Maßnahmen und notwendigen Rahmenbedingungen (Skills, Technologien, Richtlinien etc.). Hierbei geht es unter anderem um folgende Themen:
- Risikomanagement: Kosten vs. Preis
- Transparenz über meine Wertschöpfungskette: Was beziehe ich von wem, wo, wie viel, über wen usw.?
- Bedarfsmanagement: Wie flexibel sind wir hinsichtlich eingesetzter Produkte und Artikel? Richtlinien Eigenproduktion vs. Fremdvergabe bzw. Anpassung der Fertigungstiefe
- Lieferantenmanagement: Wie viel Single Source wollen wir uns leisten? Welche Lieferketten sind noch beherrschbar (Europa vs. Asien vs. RoW); mögliche Reservierung von Produktions- bzw. Frachtkapazitäten
- Bestandsmanagement: Sind Vendor Managed Inventory (VMI) und Konsignationslager optimal eingesetzt?
- Personalmanagement: Wie flexibel kann unsere Produktion „atmen“? Welche Modelle sind möglich und/oder haben wir im Einsatz?
- Change: Wie nehmen wir unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf dem Weg der Veränderung mit? Wie sehr wird er durch sie mitgestaltet?
Sicher ist: Die Ergebnisse strategischer Bemühungen ersetzen das Troubleshooting in Krisensituationen nicht. Was es aber bringt, ist eine erhöhte Entscheidungssicherheit in Stresssituationen, um die richtigen Maßnahmen und Aktivitäten setzen zu können!
Mag. Alexander Steinhart
Geschäftsführender Gesellschafter
Supply Chain Partners GmbH
E: as@scpartners.at
M: +43 664 9173044