3D-Druck: Viel Potenzial, den Einkauf zu revolutionieren
Industrielle bzw. digitale Revolution: Neue intelligente Produktionstechniken erobern die Fabrikhallen. Industrie 4.0 und das additive Manufacturing als spezifischer Herstellungsprozess mittels der 3D-Drucktechnologie führen weg von der zentralen Fertigung von Gütern in Fabriken, die sich nur bei hohen Stückzahlen rechnet, hin zu einer verteilten Produktion, bei der 3D-Drucker zukünftig komplette Produktionsstraßen und Montage-Fließbänder ersetzen könnten.
Der 3D-Druck hat die Experimentierphase verlassen und die erfolgreiche Integration der 3D-Drucktechnologie führt zu Veränderungen in der Unternehmensorganisation. Wie weit diese reichen, hängt davon ab, an welcher Stelle in der Wertschöpfungskette der 3D-Druck eingesetzt wird und wie tief die Integration geht.
Die vierte industrielle Revolution betrifft nicht nur die Produktion (Smart Manufacturing/Factory) und die Logistik (Logistik 4.0), sondern gleichermaßen auch alle anderen Funktionsbereiche eines Unternehmens, im Besonderen auch den Einkauf. Im Rahmen einer Praxisstudie konnten das derzeitige Einsatzgebiet der 3D-Drucktechnik und die Erwartungen hinsichtlich der zukünftigen Entwicklung innerhalb der Unternehmen aus dem Industrie- und Dienstleistungsbereich in Österreich analysiert werden. Es zeigt sich, dass die additive Fertigung zukünftig die Wertschöpfungskette der Unternehmen erheblich beeinflussen wird.
Notwendiger Wandel: Vom Einkauf zum Einkauf 4.0
Der Trend zur Digitalisierung, neue Technologien sowie das Advanced Manufacturing mit der 3D-Drucktechnologie haben auch Folgen für die Zukunft des Einkaufs. Industrie 4.0 erfordert auch entsprechende Anpassungen in den traditionell ausgerichteten Einkaufsorganisationen. Aus einer früheren reinen Bestellabteilung wird eine essentielle Unternehmensfunktion werden, welche einen zunehmenden Einfluss auf die strategischen Unternehmensentscheidungen ausübt – vom Einkauf zum Einkauf 4.0.
Eine zukunftsfähige Einkaufsorganisation wird zum internen Wertschöpfungsnetzwerk ausgestaltet. So lässt diese Evolution den Einkauf, die Entwicklung, die Qualitätssicherung und die Produktion näher zusammenwachsen, wodurch sich für Unternehmen auch zahlreiche Chancen in Form von Wettbewerbsvorteilen (z.B. in der Materialentwicklung, Individualisierung der Produkte, Optimierung bzw. Verkürzung der Supply Chain) ergeben können. Der Einkauf 4.0 wird in Zukunft, beeinflusst durch die 3D-Drucktechnik, vollkommen anders aussehen – es gibt keine klassischen EinkäuferInnen mehr. Sie werden zu internen und externen SchnittstellenmanagerInnen und brauchen eine hohe technische Fachkompetenz. Diese Entwicklung wird durch eine Ausrichtung auf die effiziente und effektive Rohmaterialbeschaffung verstärkt. Somit kommt dem Commodity Risk Management in der Beschaffungsorganisation eine wesentliche und neue Bedeutung zu.
Eine engere Verflechtung der unternehmensinternen Bereiche (Entwicklung, Produktion, Einkauf, Konstruktion etc.) sehen grundsätzlich mehr als 55 % der teilnehmenden Unternehmen bei der Anwendung der 3D-Drucktechnik im Fertigungsprozess. Eine verstärkte Bedrohung durch den Mitbewerb und eine vermehrte Substitutionsgefahr bzgl. der eigenen Produkte sehen ca. 43 % der Unternehmen aufgrund einer zunehmenden Bedeutung der 3D-Drucktechnik. Die Unternehmen gehen somit davon aus, dass der 3D-Drucker keine primäre Konkurrenz darstellt, sondern vordergründig die eigene Supply Chain aufgrund der steigenden Flexibilität, Verfügbarkeit und Individualisierungsmöglichkeiten positiv beeinflussen wird.
Der Einsatz der 3D-Drucktechnologie wird sich in weiterer Folge auch auf die Lieferantensituation in den Unternehmen auswirken. Insbesondere im Bereich des Rapid Prototyping ergeben sich hier neue Perspektiven für Unternehmen, um die Verfügbarkeit und Flexibilität zu erhöhen. Die Risikosituation, welche durch die Lieferantenbeziehungen auf die Unternehmen wirkt, lässt sich durch den Einsatz der 3D-Drucktechnik verbessern, wobei eine gänzliche Elimination des Lieferantenrisikos nicht realisierbar ist, da auch beim Einsatz des 3D-Druckers entsprechend neue Risikoaspekte (Verfügbarkeit des Materials, Technologierisiko etc.) entstehen. Dies spiegelt auch die aktuelle Umfrage wieder, da ca. 63% der Unternehmen davon ausgehen, dass Risiken, ausgehend von der Lieferantenseite, nicht gänzlich reduziert werden können. Zumindest 37% der Unternehmen sehen aber durch den Einsatz der 3D-Drucktechnik in der Unternehmung ein entsprechendes Potenzial, das Lieferantenrisiko zu reduzieren.
Neue Produktionsmöglichkeiten und Technologien wie z.B. der 3D-Drucker machen den Einkauf flexibler und führen dazu, dass in gewissen Situationen die Abhängigkeit von Lieferanten reduziert werden kann, aber auch eine engere Lieferantenbeziehung aufgrund des Einsatzes der additiven Fertigung kann sich wertschaffend auf die Lieferantenbeziehung auswirken. Dass der 3D-Drucker zu einer Steigerung der Flexibilität in der Beschaffungsorganisation führt, wird von ca. 62% (trifft zu bzw. trifft eher zu) der Unternehmen in Österreich bestätigt.
EinkäuferInnen: SchnittstellenmanagerInnen mit hoher technischer Kompetenz
Eine neue Ära der Verfügbarkeit wird eingeläutet, da Maschinen komplexe Objekte jeglicher Form produzieren, wann und wo diese gerade benötigt werden. Dies führt zu völlig neuen Herausforderungen für die gesamte Supply Chain.
Die 3D-Drucktechnologie wird einen Einfluss auf den gesamten Beschaffungsmarkt haben, da sich einerseits neue Märkte ergeben, aber auch die Beschaffung von Materialien und Dienstleistungen wird sich verändern. Diese Entwicklung bestätigt die Industrie mit mehr als 70% an Zustimmung.
Ein weiterer Aspekt, welcher die Beschaffungsorganisation betreffen wird, ist der Bedarf an speziellem Fachwissen wie z.B. über CAD-Techniken. Mehr als 50% der Unternehmen sehen hier zukünftig neue Anforderungen auf die MitarbeiterInnen des Einkaufs zukommen. Die Kalkulierbarkeit des erforderlichen und optimalen Materialbedarfs und Druckmaterials beim Einsatz des 3D-Druckers sehen die Unternehmen auch zukünftig als große Herausforderung.
Dass die 3D-Drucktechnik zu einer Fokussierung auf die reine Beschaffung von Rohmaterialien führt, dies wird von ca. 50% der Unternehmen bestätigt. Was jedoch klar aufgezeigt wird, ist, dass die Rohmaterialbeschaffung auch zukünftig eine entscheidende Rolle einnehmen wird, dies durch den 3D-Drucker sogar noch verstärkt. Somit wird das Commodity Risk Management noch stärker in den Mittelpunkt der wertschaffenden Tätigkeiten der zukunftsfähigen Beschaffungsorganisation rücken.
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass sich durch den Einsatz der 3D-Drucktechnologie der Einkauf weiter verändern wird bzw. sich verändern muss, da vor allem neue Materialien zur Produktion von 3D-Druckteilen benötigt werden, sich Logistikketten verändern bzw. sich diverse Zulieferkette ganz ausdünnen, aber auch Ersatzteile vor Ort gedruckt werden können.
Notwendige Schritte für die moderne Beschaffungsorganisation im Zusammenhang mit 3D-Druck
Während die klassischen und traditionellen Funktionen des Einkaufs im Wesentlichen in der Beschaffung von Materialien und Rohstoffen bestanden, gehen die zukünftigen Aufgaben wesentlich weiter. Um die digitale Transformation im Unternehmen zu unterstützen, muss aus einer sehr operativ und taktisch orientierten Unternehmensfunktion der Wandel zu einem strategiefokussierten Beschaffungsmanagement vollzogen werden, um einen zunehmenden Einfluss auf die strategischen Unternehmensentscheidungen ausüben zu können. Somit wird der Einkauf zum Gatekeeper und aktiven Partner bei der Implementierung der additiven Fertigungsverfahren in Unternehmen, wobei nachfolgende Aspekte kritische Erfolgsfaktoren darstellen.
- Der Einkauf muss seine eigenen Strukturen und Prozesse an die Erfordernisse und Gegebenheiten der additiven Fertigungsverfahren anpassen.
- Strategische Aktivitäten rücken in den Vordergrund – neue Produktionsverfahren, wie die 3D-Drucktechnik, machen den Einkauf flexibler und führen dazu, dass die Einkaufsorganisation sich vermehrt den strategischen Agenden widmen muss.
- Die Beschaffungsorganisation muss sich der Herausforderung des Wissenstransfers bzw. der Wissensgenerierung im Zusammenhang mit der 3D-Drucktechnik aktiv stellen. Fachwissen zu den optimalen Verfahren, den Materialien, Märkten und Softwarelösungen sind zukünftig entscheidend für den Wertbeitrag des Einkaufs.
- Der Einkauf ist dahingehend gefordert, dass durch den Einsatz des 3D-Drucks zukünftig neue Beschaffungsmärkte zu erschließen sind und die gewohnten Märkte hier an Bedeutung verlieren werden.
- Da Produktionsentscheidungen immer schneller an die aktuelle Nachfrage angepasst werden, muss der Einkauf immer kurzfristiger reagieren – die vertikale und horizontale Vernetzung rückt in den Vordergrund.
Für Unternehmen der Zukunft ist es bedeutend, ihre Geschäftsmodelle im Kontext der Industrie 4.0 und ihre Organisationsprozesse unter Einbeziehung der Digitalisierung weiterzuentwickeln. Eine Schlüsselfunktion kommt dabei den additiven Fertigungsverfahren zu. Dadurch ergeben sich gravierende Änderungen in internen und externen unternehmerischen Funktionsbereichen und es entsteht eine neuartige Qualität der Zusammenarbeit – Wertschöpfungsketten transformieren sich zukünftig zu digitalen Wertschöpfungsnetzwerken, in denen die Beschaffungsorganisation zum Wegbereiter und Enabler bei der Integration der 3D-Drucktechnik in den Produktionsprozess von Unternehmen wird.
Über die Studie
Welchen Einfluss, welche Bedeutung und welchen Reifegrad die Industrie 4.0, mit besonderem Fokus auf die 3D-Drucktechnologie, in österreichischen Industrie- und Dienstleistungsunternehmen aktuell hat und zukünftig einnehmen kann, stellt den vordergründigen Untersuchungsgegenstand dieser Praxiserhebung dar. Die Erkenntnisse und Ergebnisse zeigen den gegenwärtigen Stand zur additiven Fertigung sowie die zukünftige Erwartungshaltung der Industrieunternehmen, wobei der Produktions- und Beschaffungsprozess den primären Analysebereich markiert. Einen weiteren Untersuchungstatbestand der Erhebung stellt die Auswirkung des 3D-Drucks auf die Organisation des Einkaufs dar.
Die kompletten Studienergebnisse finden Sie hier.
Der Autor
Prof.(FH) Dipl.-Ing. Dr. Christian Theuermann ist Professor an der Fachhochschule CAMPUS 02 in Graz und Fachbereichskoordinator für Transferkompetenz an der Studienrichtung Rechnungswesen & Controlling mit langjähriger Industrieerfahrung in leitender Position und Autor zahlreicher einschlägiger Publikationen.
Weiters ist er geschäftsführender Gesellschafter einer Beratungsunternehmung, mit den Dienstleistungsschwerpunkten: Beschaffung und Sourcing, Suppy Chain Risk Management, Corporate-Riskmanagement, Digitalisierung und Transformationsmanagement. Darüber hinaus ist er Trainer und Vortragender an namhaften Weiterbildungs- und Schulungseinrichtungen im In- und Ausland.
E-Mail: christian.theuermann@campus02.at